Grau - ein Eddie Russett-Roman
bereits ihre Bekanntschaft gemacht.«
»Dann weißt du ja Bescheid. Wenn es ihr gelingt, Melanie ihren Courtland abspenstig zu machen, dann werden ihre gemeinsamen Nachkommen so abartig, dass es zu Spontanentzündungen kommen könnte. Aber das hab ich natürlich nicht gesagt.«
»Natürlich nicht.«
Ich dachte wieder an Rostberg.
»Tommo. Du hast gesagt, du könntest so gut wie alles organisieren.«
»Fast alles. Courtland hat ein bisschen übertrieben.«
»Mein Vater muss morgen nach Rostberg, und ich möchte gerne mitfahren. Dafür brauche ich einen triftigen Grund.«
Tommo biss sich auf die Lippe.
»Weißt du, wie viele Menschen während der Mehltauepidemie gestorben sind? Eintausendachthundert. Und wenn ich nicht wenigstens einen Funken Respekt vor den Regeln hätte – mehr kann ich nicht aufbringen –, dann würde ich mich auf dem schnellsten Weg dorthin begeben. In Rostberg müssen an die hundert Löffel herumliegen. Jeder aufgefundene Löffel mit einer nicht registrierten Postleitzahl heißt, dass man dem Kollektiv einen neuen Arbeiter zuführen kann. Und welches Dorf leckt sich nicht die Finger danach, seine Einwohnerzahl aufstocken zu können? Also ein Batzen Geld – und ich würde trotzdem nicht hinfahren.«
»Warum nicht?«
Er sah sich um und senkte die Stimme. »Wegen der Pukas!«
Ich lachte. »Pukas gibt es nicht. Das steht so in den Regeln.«
»Das haben die in Rostberg auch geglaubt. Aber es gab da so … Geschichten, Gerüchte. Willst du wirklich immer noch hin?«
»Willst du immer noch das Lincoln?«
»Na gut. Überlass mir die Sache«, sagte er und überlegte angestrengt. »Vielleicht fällt mir ja was ein.«
Wir kamen an der Garage des Werkmeisters vorbei. Ein Mann in einem Overall ölte penibel einen zerbeulten alten Ford Model T.
»Hallo, Löffelbagger«, begrüßte er Tommo. »Ist das da Master Russett in deiner Begleitung?«
»Ja«, antwortete ich.
»Willkommen in Ost-Karmin«, sagte er mit leicht überheblicher Miene. »Ich bin Carlos Fandango, der Werkmeister. Macht Tommo mit dir die Rundtour?«
Ich nickte.
»Bravo. Ist ein feiner Kerl, aber leih ihm bloß kein Geld.«
»Einer, der seine eigene Großmutter verkauft, was?«
»Ach, schon davon gehört? Schreckliche Sache.«
»Jedenfalls kann ich erkennen, wann eine Tomate reif ist«, gab Tommo zurück, dem es nichts ausmachte, dass sein besudelter Familienname noch mehr besudelt wurde. Die Bemerkung mit der Tomate war eine eindeutige und strafwürdige Verletzung des Protokolls, wenn nicht ausgesprochen rüde. Fandango jedoch ignorierte Tommo einfach und sagte, zu mir gewandt, er werde meinen Vater morgen nach Rostberg fahren und um Punkt acht Uhr vor unserer Haustür stehen.
Ich versprach ihm, es meinem Vater auszurichten, doch Tommo, ungehalten darüber, dass seine Beleidigungen verpufften, zupfte mich am Ärmel und meinte, wir müssten weiter.
»Fandango ist nur zu vierzehn Prozent ein Purpurner«, sagte Tommo, als wir außer Hörweite waren. »Er spielt sich furchtbar auf, dabei war er vor seinem Ishihara ein Grauer. Vier Punkte weniger, und er müsste Feldarbeit verrichten oder in der Fabrik Sackleinen auslegen. Allerdings macht er sich Hoffnungen, Kapital aus seiner Tochter Imogen schlagen zu können. Er geht davon aus, dass sie fünfzig Prozent hat.«
»Hat er eine starke Purpurne geheiratet?«
»Im Gegenteil.«
Sein Entsetzen war gespielt, eine Andeutung, dass die chromatische Unvereinbarkeit zwischen Eltern und Nachkommen möglicherweise auf Fremdgehen zurückzuführen war. In diesem Fall zum eigenen Nutzen.
»Die Fandangos sind nach Zinnober gefahren, um im Grünen Drachen die Zuteilung ihres Ei-Bons zu feiern«, erklärte er. »Das Brautgemach in dem Hotel heißt nicht umsonst Regenbogenzimmer – da kannst du dir gegen Aufpreis jedes Farbkind machen lassen, das du haben willst.«
»Purpurne, die ihr schwer erarbeitetes Erbgut verkaufen?«, rümpfte ich ungläubig die Nase. »Das ist doch lächerlich. Außerdem würden die niemals einen Autoritätsverlust riskieren.«
»Seid ihr wirklich so naiv in den Regionalzentren, oder tut ihr nur so?«, wunderte er sich. »Die Regeln sind nicht alles. Es gibt eine ganze Welt außerhalb der Regeln. Man muss nur hinschauen. Jedenfalls wird Carlos dir das Ohr abkauen, ob du nicht ein paar reiche Purpurne in deiner Bekanntschaft hast. Du musst darauf eingehen, wenn du mal in dem Ford mitfahren oder das Gyro-Bike besteigen willst.«
An Tommos rüden Ton musste ich
Weitere Kostenlose Bücher