Grau - ein Eddie Russett-Roman
anderen Ende der Bank und starrte mich an. Die Frage war rein rhetorisch, da mindestens ein Hobby vorgeschrieben war, sogar für die vielen Grauen, die gar keine Zeit für so etwas hatten. Die Theorie besagte, dass ein Hobby »müßige Gedanken vertreibt«, doch welches Hobby das sein sollte, ließen die Regeln offen. Trainspotting, Knöpfe-, Steine-, Münzen- oder Briefmarkensammeln waren die üblichen Optionen, aber auch Stricken, Malen, Versuchskaninchenzucht oder Geigenbau fanden ihre Anhänger. Manche sammelten Artefakte aus der Zeit vor dem Großen Ereignis, zum Beispiel Strichcodes, Zähne, Geldkarten oder Letterntasten, die es in verwirrend vielen unterschiedlichen Formen und Größen gab. Wieder andere erfanden zum Spaß irgendwelche lustigen Hobbys, nur um die Präfekten zu ärgern, zum Beispiel Bauchnabel-Casting, Dauerhüpfen und Extremzählen. Ich selbst bevorzugte die abstrakten Hobbys. Ich sammelte nicht nur obsolete Begriffe und Wörter, ich sammelte auch Ideen.
»Momentan entwerfe ich ein verbessertes System für Warteschlangen«, sagte ich großspurig, aber die alte von der Malve zeigte nicht das geringste Interesse.
»Ich mache gerne Löcher in Sachen«, verkündete sie und zeigte mir ein Stück Papier mit einem Loch.
»Das erfordert bestimmt einiges Geschick.«
»Allerdings. Ich mache Löcher in Holz, Pappe, Blätter, sogar in Bindfäden.«
»Wie macht man denn ein Loch in einen Bindfaden?«
»Ich binde ihn zu einem Knoten«, sagte sie mit verblüffender Schlichtheit, »und schon hat man ein Loch. Ich dachte, ich wäre die Einzige. Aber sehen Sie mal, was ich heute Morgen im Co-op gefunden habe.«
Verärgert hielt sie mir einen Donut entgegen.
»Ja, so geht’s!«, rief sie gekränkt. »Man kann sich heutzutage aber auch kein originelles Hobby mehr ausdenken, ohne dass gleich irgendein Nachahmer auf den Zug aufspringt.«
»Wahrscheinlich ist er von Mrs Lapis-Lazuli«, raunte ich boshaft, und Witwe von der Malve riss die Augen auf.
»Habe ich es mir doch gedacht!«
»Würden Sie mich bitte entschuldigen?«, sagte ich. »Ich sehe da gerade jemanden, den ich unbedingt sprechen muss.«
Ich stand auf und trabte hinter einem Grünen her, der mit einer Posaune unterm Arm vorbeiging. Ich hatte keine faule Ausrede gebraucht, um von Witwe von der Malve loszukommen. Mir war aufgefallen, dass der Posaunist nur eine Augenbraue hatte.
»Entschuldigung.«
Er blieb stehen und musterte mich kurz, dann trat ein Ausdruck des Wiedererkennens auf sein Gesicht.
»Du bist der Sohn des neuen Mustermanns, oder?«, sagte er. »Hast du nicht das Letzte Kaninchen gesehen?«
»Ja und ja.«
»Wie sieht es aus?«
»Irgendwie … fellig.«
Bevor er mich genauer über das Kaninchen ausfragen konnte, stellte ich mich vor, aber ich hatte ein komisches Gefühl, während wir miteinander redeten. Ich hatte mich vorher noch nie freundschaftlich mit einem Grünen unterhalten. In Jade-unter-der-Limone blieb man weitgehend unter sich. Jabez war knapp fünfundzwanzig, und nach der Uniformierung zu urteilen ein Farmer.
»Was ist mit deiner Augenbraue?«, sagte ich und zeigte auf die kahle Stelle. »Tommo hat mir gesagt, Jane hätte sie dir ausgerissen. Stimmt das?«
Jabez fasste sich an die Narbe über dem Auge. »Ja, ja«, antwortete er mit einem Grinsen, »aber sie hat es ganz schnell gemacht, damit es nicht so weh tut. Wenn sie mich wirklich gehasst hätte, hätte sie die Härchen einzeln ausgerupft.«
»Wie – äh – großzügig von ihr«, sagte ich gedehnt.
»Zuerst habe ich noch überlegt, mir eine Spender-Augenbraue annähen zu lassen«, sagte Jabez, »aber wenn sie schief angewachsen wäre, hätte ich für den Rest meines Lebens mit einer fragenden Miene rumlaufen müssen. Willst du mit Jane ausgehen?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Ich weiß auch nicht, warum ich sie gefragt habe«, sagte Jabez stirnrunzelnd. »Wahrscheinlich war es ihre Nase. Die hat schon was, findest du nicht?«
»Ja«, gestand ich, »die ist nicht von schlechten Eltern.«
»Du darfst es ihr nur nicht sagen. Sie hört es nicht gern.«
»Hallo!«, ließ sich Tommo vernehmen, der plötzlich wieder aufgetaucht war. »Eddie, das ist Jabez Lemonsky, ein Grüner, erste Generation, also kaum zu beanstanden. Was ist los?«
»Eddie und ich haben uns gerade darüber unterhalten, wie man sich am besten mit der Nase verabredet.«
Tommo sah mich neugierig an.
»Dann bist du also doch an Jane interessiert.«
»Wir machen nur Konversation.«
»Lass
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