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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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dachte an Constance und musste mir eingestehen, dass es zwischen ihr und Violetta wohl gewisse Ähnlichkeiten gab.
    »Nein, will ich nicht, auch nicht in deinen blöden Gedankenspielen.«
    »Geschenkt. Man muss verrückt sein, in so ein Schlangennest einzuheiraten. Das einzige andere Mädchen außer Konkurrenz ist Lucy Ocker, denn die ist reserviert.«
    »Reserviert?«
    »Für mich. Also Pfoten weg!«
    »Weiß sie Bescheid?«
    Tommo zuckte mit den Schultern.
    »Eigentlich nicht.«
    »Neun zur Auswahl sind immer noch ganz gut.«
    »Nicht ganz«, entgegnete er und strich nacheinander eine meiner potentiellen Kandidatinnen nach der anderen von der Liste. »Simone Russo ist niederperzeptiv und das Produkt eines Oberinstallateurs und einer Grauen, also unpassend. Rose Krapp ist jemandem versprochen, Lucy ist so gut wie versprochen, und Tabitha ist Lloyd Bluto halb versprochen. Lisa Scarlet steht ziemlich weit unten auf der Sozialskala, ihren Vater haben sie zum Reboot geschickt. Cassie ist ziemlich absonderlich, und Jennifer hat sich gerade vergangene Woche mit einer Grauen namens Chloe erklärt.«
    »Aha.«
    »Bleiben also meine Schwester Fran und Daisy Karmesin.«
    »Also zwei; wie großzügig von dir, Tommo.«
    »Nicht so hastig. Da ich dir rein freundschaftlich einen schmerzhaften Schlag auf den Hinterkopf verpassen würde, wenn du auch nur daran denken solltest, dich mit deinen schmierigen Fingern meiner lieben Francesca zu nähern – der ich geschworen habe, sie vor allen Unannehmlichkeiten des Lebens zu bewahren – , bleibt also unterm Strich leider nur noch Daisy Karmesin. Ich hoffe, ihr werdet miteinander glücklich.«
    »Das hast du dir alles schon fix und fertig überlegt, oder?«
    »Ich denke an nichts anderes.«
    Während unserer Unterhaltung war jedes Fünkchen natürliches Licht erloschen. Der Himmel glänzte schwarz wie Ebenholz, die einzige Beleuchtung kam von der zentralen Straßenlaterne, ein kaltes, weißes Licht, welches so scharfkantige Schattenumrisse erzeugte, dass man sich an ihnen hätte schneiden können. Gerade gab ich Tommo zu verstehen, dass seine fantastische Eheliga der größte Blödsinn war, da trat aus einem Haus unweit von uns eine Gestalt in einem Mantel und mit einem Koffer in der Hand. Erst als die Gestalt fast vor uns stand, erkannte ich Travis Canary.
    »Hallo!«, grüßte er, als er mich sah. »Hast du dich eingelebt?«
    »Ja, ganz gut«, antwortete ich. »Kennst du Tommo?«
    Sie gaben sich die Hand, und Tommo beäugte den Gelben misstrauisch.
    »Du hast dein Farbkennzeichen nicht angesteckt«, sagte er.
    »Da, wo ich hingehe, braucht man keins.«
    Ich dachte, er meinte Reboot, doch das war ein Irrtum. Noch ehe wir etwas sagen konnten, tippte er sich an seine Mütze und ging in die Nacht hinaus. Nur wenige Sekunden später hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.
    Tommo und ich wollten kaum unseren Augen trauen, so unglaublich erschien das, was soeben passiert war. Ich sah mich um, doch obwohl sich noch etwa ein Dutzend abendliche Spaziergänger auf dem Platz herumtrieben, schien niemand etwas bemerkt zu haben.
    Ich stand auf, um den Alarm für Nachtabgang auszulösen, doch bevor ich den Knopf drücken konnte, hielt Tommo mich zurück.
    »Warte, Eddie, warte! Er ist nur ein Gelber, kein großer Verlust, außerdem steht ihm sowieso Reboot bevor. Und viel wichtiger noch: Was geht uns das an?«
    »Man lässt keinen Menschen nachts draußen allein«, blies ich mich auf, »nicht mal einen Gelben.«
    Ich drückte den Alarmknopf, und das Horn gab drei schrille Signaltöne von sich.
    Auf einmal war der Platz totenstill und nach wenigen Sekunden wie leergefegt. Wenn ein Notruf ertönte, taten die meisten Leute plötzlich sehr beschäftigt oder räumten eilig das Feld. Nachtabgänge waren eine traurige, tragische Sache, und der Versuch, jemanden zu retten, konnte noch einmal so tragische Konsequenzen haben. Man hatte sich daher angewöhnt, nicht einzugreifen. Jedenfalls nicht vor dem nächsten Tag, wenn die offizielle Suche einsetzte. Wir gingen bis zum äußersten Schattenfall und starrten in die Finsternis, die wie ein wütender schwarzer Nebel waberte. Wir befanden uns am Rand des Dorfes, jenseits der Häuser, und zu unserer Rechten und Linken erstreckte sich unebenes Grasland.
    »Wer ist da draußen?«, kam eine Stimme.
    Es war die Präfektin Sally Schwefel, ich hatte sie offenbar beim Abendessen gestört. Ich erklärte ihr, Travis Canary sei gerade in die Nacht hinausgegangen, aber sie

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