Graue Schatten
noch auf ihn ein und versuchte ihn dazu zu bewegen, mit ihr auf Station A zu gehen.
„Renate, ich brauche dich hier!“
„Würdest du vielleicht mal Alarm drücken? Du siehst doch, dass ich nicht ran komme!“
Die Chefin klang ziemlich gereizt. Aber sie hatte recht. Der nächste Alarmknopf befand sich auf der Innenseite der Anrichte an der Wand. Eiche versperrte Renate den Weg dahin.
Larissa sprang hoch, drückte zugleich den Anwesenheits- und den Knopf für den Schwesternnotruf und löste damit den Alarm aus.
Dass auch wieder keiner in der Nähe war, wenn dringend jemand gebraucht wurde!
Larissa lief wieder zu Frau Siedhammer und kümmerte sich um sie. Das penetrante Tuten des Alarms machte die beunruhigten Bewohner noch nervöser und das Chaos perfekt. Alle schnatterten nun noch heftiger. Jetzt stand plötzlich auch noch Frau Meier neben Larissa und hielt ihr eine in Servietten eingewickelte Gabel vors Gesicht. Sicher wollte die völlig desorientierte Dame ihr helfen. Vorne schrie Renate: „Kommt hier mal irgendjemand!“
Wenig später kamen sie dann von allen Seiten angerannt. Renate wies die beiden von Station A an, das zu tun, was sie ohnehin getan hätten: den verwirrten Bewohner ihrer Station auf sein Zimmer bringen. Martina und Sieglinde wollten wissen, was überhaupt los sei, und ob Eiche wieder etwas angestellt habe. Das brachte Renate wohl endgültig auf die Palme.
„Das weiß ich doch nicht!“, schrie sie. „Ich kann mir ja nicht mal einen Überblick verschaffen, wenn der Mann hier den Eingang blockiert.“
Zum zweiten Zugang kam Irene hereingestürzt. „Um Gottes Willen, was ist denn hier passiert!“
„Ist ja schon gut“, knurrte vorne Sieglinde Renate an. „Wenn du schlecht drauf bist, lass es nicht an uns aus.“
„Irene, ich brauche einen Rollstuhl“, rief Larissa.
Irene reagierte prompt und machte kehrt. Die zwei von Station A hatten inzwischen Herrn Eiche gegriffen, jeder an einem Arm. Der beugte sich der Übermacht und ließ sich wegführen. Renate kam herbeigestürzt.
Larissa klärte sie auf: „Frau Siedhammer lässt sich nicht aufsetzen, Irene holt einen Rollstuhl.“
Renate verschwand wortlos, war aber sofort wieder da, zeitgleich mit Irene. Die brachte den Rollstuhl, Renate ein Stethoskop, das Blutdruckmessgerät und ein Arzneifläschchen mit.
„Frau Meier, Sie verschwinden jetzt mal hier“, fuhr sie die verwirrte Frau an, die im Weg stand. Frau Meier wollte nun den beiden anderen Pflegerinnen ihre eingewickelte Gabel anbieten. Irene führte sie etwas unsanft, aber notwendigerweise aus dem Aufenthaltsraum. Inzwischen setzten Larissa und Renate Frau Siedhammer auf und gleich in den Rollstuhl.
„Bring die Sachen mit“, sagte sie im Befehlston zu Larissa und schob die gestürzte Frau in ihr Zimmer.
Larissa folgte ihr mit dem Stethoskop um den Hals, sowie Blutdruckmessgerät und Kreislauftropfen in der Hand.
Als sie Frau Siedhammer ins Bett gelegt hatten, wurden ihre Vitalwerte gemessen, und sie bekam ein paar Schlucke Wasser mit den Tropfen eingeflößt.
Renate versuchte nun aus ihr herauszubekommen, ob ihr etwas weh tat. Das war nicht einfach, weil auch Frau Siedhammer sich nicht mehr adäquat äußern konnte. Abtasten war da effektiver. Offensichtlich war sie nicht verletzt und nun auch nicht mehr so blass. Nur, ob ihr Sturz etwas mit Herrn Eiche zu tun hatte, ließ sich nicht feststellen. Da sie öfter Kreislaufprobleme hatte, konnte es sein, dass ihr beim Aufstehen vom Tisch schwindlig geworden und sie ohne fremdes Zutun gestürzt war.
„Von denen im Aufenthaltsraum brauchen wir ja auch niemanden zu fragen, was da los war“, bemerkte Renate und stand auf. „Bleib noch ein paar Minuten bei ihr. Ich trag alles ein.“ Sie klang noch immer gereizt. „Aber mit Herrn Eiche, das geht so nicht weiter. Der muss dringend wieder zum Einstellen!“, bruddelte sie noch beim Hinausgehen.
Eine Minute später kam Irene herein, schaute Larissa aber nicht an, sondern nur kurz zu Frau Siedhammer, fragte: „Na, geht's wieder besser?“ und verschwand sofort wieder.
Seltsam, wie Irene sich innerhalb von wenigen Tagen verändert hatte! Normalerweise hätte sie die Gelegenheit dazu genutzt, mit Larissa ein Schwätzchen zu halten, sie auszufragen. Sie war immer neugierig gewesen. Zum Beispiel interessierte sie doch sicher, ob Larissa etwas von Kevin oder von Anna wusste. Heute interessierte sie anscheinend außer ihrer Arbeit gar nichts. Aber es war nicht nur das. Irene
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