Graue Schatten
massiven Küche mit Durchreiche waren die Tische gefüllt. Einige mutmaßliche Fern- oder Staplerfahrer, ein Mann im Anzug, eine Frau im Blaumann und zwei Gestalten, die aussahen, als hätten sie schon seit Langem die Arbeit und den Rasierer verloren, ließen sich hier Curry- und andere Würste, Hähnchen oder flüssige Nahrung schmecken. Das Angebot war für einen Imbiss enorm. Der Lärmpegel ebenfalls. Die richtige Atmosphäre, um kurz zu entspannen, dachte Strobe. Er entschied sich für Maultaschensuppe. Schell bestellte eine Rote Wurst und dazu ein Stück Käsekuchen gegen den Frust.
Während Schell noch griesgrämig schweigend kaute, begann Strobe, der das heiße Essen wie immer viel zu schnell in sich hinein gestopft hatte, einen Monolog zu führen. Er machte einen Plan für den Nachmittag, legte sozusagen die Route fest, auf der sie Lauffen durchqueren müssten: Zuerst war ein Besuch bei Dr. Hansen fällig. Bei dieser Anna Kirchner, die dem Termin am Morgen unentschuldigt ferngeblieben war, sollte man auch ranfahren. Ein Besuch bei dem Verkäufer der Baumaschine war sowieso Pflicht.
Schell erwachte bei dem Stichwort aus seiner Lethargie und meinte, dass der Verkauf ja extra arrangiert worden sein könnte, um das Abheben der fünftausend Euro zu begründen. Das Gleiche galt auch für den Verleih des Gerätes. Beide, Verkäufer wie Kunde, könnten von Sausele manipuliert worden sein. Man sollte auf jeden Fall nachsehen, ob ein Gerät, was so aussah, wie die im Kaufvertrag genannte Maschine, bei ihm herumstand. Er wohnte in Flein. Ein kleiner Umweg auf der Rückfahrt nach Heilbronn.
Gut zwei Stunden würden sie für sämtliche Besuche brauchen, rechnete Strobe. Wenn sie zurück sein würden, sollten sie Andrej Kovalev noch einmal verhören. Vielleicht würde sein Bruder bald mal gefasst werden. Der könne die Lösung liefern. Bis dahin müsste man sich mit weiteren Theorien zufriedengeben. Schell soll auf jeden Fall heute pünktlich Feierabend machen, beschloss Strobe für sich, als sein Handy klingelte.
Es war Bacchus. Der Chef wollte sich noch auf den neuesten Stand bringen, bevor er die Polizeidirektion verließ. Er hatte vor, heute etwas früher – also nachmittags um halb eins! – Feierabend zu machen. Und das aus einem Grund, den er nicht verraten wollte! Das muss er seinen rangniederen Mitarbeitern gegenüber auch nicht tun, dachte Strobe und machte sich seine eigenen Gedanken darüber. Man munkelte, der fünfundvierzigjährige verheiratete Vater von zwei Töchtern habe eine Geliebte. Strobe berichtete ihm nun, wie weit sie im Mordfall Sausele gekommen waren.
Der Nachmittagskaffee war ausgeteilt, den Bewohnern, die ihn nicht selbstständig trinken oder den Kuchen nicht allein essen konnten, war dabei geholfen worden. Abräumen würde nachher Hilde.
Larissa stand allein in der kleinen Küche, die sich im Nordflügel zwischen Station A und B befand und von beiden Stationen benutzt wurde. Sie ließ Wasser für Tee in den Kocher ein und grübelte. Die Stimmung auf der Station hatte sich inzwischen dem Gefrierpunkt genähert. Eine Übergabe wie die, die vor einer reichlichen halben Stunde zu Ende gegangen war, hatte Larissa noch nicht miterlebt. Alles war sachlich, aber total steril abgelaufen, nichts Persönliches war gesprochen worden. So als ob man sich nicht kennen würde. Selbst unter Fremden wäre es wohl lockerer zugegangen. Und das, obwohl es so viel zu erzählen gegeben hätte! Larissa hätte durchaus interessiert, wie es Renate und Irene an ihrem freien Wochenende ergangen war. War die Polizei auch bei ihnen gewesen?
Bevor Larissa vorhin zur Spätschicht gegangen war, hatte sie noch, wie auch gestern Abend schon, nachdem sie von ihren Eltern zurückgekommen war, versucht, bei Betti anzurufen. Vergeblich. Es meldeten sich immer AB oder Mailbox. Gewissensbisse plagten Larissa. Von ihrer Freundin hatte sie seit Samstagabend nichts mehr gehört. Von ihrem ukrainischen Freund und seinem mysteriösen Besuch am Sonntag vor einer Woche hier im Haus, den außer ihr ja auch Frau Blanck bemerkt hatte, hatte sie hier noch niemandem erzählt, hatte das aber eigentlich tun wollen.
Doch als sie zwar pünktlich, aber als Letzte zur Übergabe im Schwesternzimmer erschien, verging ihr die Lust am Erzählen. Schon vom Flur aus, auf dem Weg zum Schwesternzimmer, war ihr aufgefallen, dass es dort wieder mal eigentümlich still war. Dass auch Irene schwieg, schien inzwischen normal zu sein. Als Larissa den Raum
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