Graue Schatten
Unglück von Frau Müller?“
„Nein, das tun wir nicht“, behauptete Strobe, und was ihn selber betraf, war das nicht einmal gelogen.
„Haben Sie einen Verdacht bezüglich der Anruferin?“, fragte Schell.
Der Pflegedienstleiter schüttelte den Kopf. „Ich hab nicht die leiseste Idee.“
„Es gibt mehr Verrückte, die frei herumlaufen, als in der Psychiatrie“, wetterte der Heimleiter.
Stur schien nachzudenken. „Vom Personal sicher niemand“, fiel ihm schließlich ein.
„Warum?“, wollte Schell wissen.
„Wenn ich mich recht entsinne, hatte die Person von Patienten gesprochen, die in Gefahr seien. Den Begriff Patienten verwendet bei uns niemand. Wir sprechen hier von Bewohnern. Das ist jedem Mitarbeiter in Fleisch und Blut übergegangen.“
„Was die Angehörigen betrifft, da kenne ich keinen, dem ich so etwas zutrauen würde. Vielleicht ein dummer Jungenstreich?“, fügte Heilmann hinzu.
„Es war aber kein Junge, sondern eine weibliche Person“, bemerkte Schell. Geschätztes Alter: zwischen zwanzig und vierzig, also aus dem Teenager-Alter raus.“
„Ich kann mir keinen Reim darauf machen.“ Der Heimleiter schüttelte den Kopf.
„Wir werden versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Sicher müssen wir uns auch mit dem einen oder anderen unterhalten. Da werden wir nicht drum herumkommen. Übrigens, wie haben Ihre Mitarbeiter den Tod von Frau Müller aufgenommen? Wissen die es überhaupt schon?“
„Ich habe noch keinen von den Stationen gesprochen“, teilte ihm der Pflegedienstleiter mit. „Ich hatte ja alle nach oben geschickt, nachdem der Hubschrauber eingetroffen war, und ihnen gesagt, sie sollten noch mal überall auf den Stationen nachschauen.“
„Ich denke aber, die Leute können sich's zusammenreimen, wenn statt eines Krankenwagens zwei zivile Autos und ein Streifenwagen im Hof stehen und der Hubschrauber weg ist.“, nahm der Heimleiter an.
„Wie viele Personen waren an der Suche nach Frau Müller beteiligt, außerhalb des Gebäudes?“, wollte Strobe wissen.
„Fünf Pflegemitarbeiter und ich, wenn nicht noch jemand ohne mein Wissen rausgegangen ist“, antwortete der Pflegedienstleiter, wie aus der Pistole geschossen.
„Das lässt sich herausfinden“, erklärte Strobe.
„Was das Personal betrifft, kann Ihnen Herr Stur weiterhelfen. Das ist sein Aufgabenbereich“, sagte Heilmann.
„Unter anderem“, murrte der Dicke.
„Wenn Sie mich momentan nicht brauchen ...? Ich habe jetzt die unangenehme Aufgabe, die Angehörigen zu informieren. Frau Ullmann, die Tochter von Frau Müller, wird aus allen Wolken fallen. Ich hoffe, sie verklagt uns nicht.“
„Wie kommen Sie darauf?“ Strobe tat verwundert.
Heilmann holte nur tief Luft und schaute Stur hilfesuchend an.
„Sie ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht ganz einfach“, half der Pflegedienstleiter aus und hielt dabei den Kopf etwas schief, sodass sein Doppelkinn auf einer Seite hervorquoll.
„Inwiefern?“
„Als sie ihre Mutter herbrachte, führte sie sich ziemlich unverschämt auf. Sie hatte wohl am Dienstag Urlaub und ging den Pflegerinnen drei Stunden auf die Nerven. Sie wollte jedem erklären, wie man es richtig macht. Sie hat erfahrene Pflegekräfte behandelt wie Schulkinder.“
„Ist sie selber Krankenschwester oder so was?“, fragte Schell.
„Nein, sie hat vor kurzem bei Planet im Büro angefangen. Das ist eine kleine Werkzeugmaschinenfirma, unten im Industriegebiet.“
„Könnte es sein, dass sie die mysteriöse Anruferin gewesen ist?“
Heilmann ließ seine Arme ratlos gegen die Beine fallen und schaute erneut Stur an. Der sagte: „Wir kennen sie erst zwei Tage. Aber nach dem zu urteilen, was sie in den zwei Tagen geboten hat, wäre es ihr zuzutrauen.“
„Eine Bitte noch“, begann Heilmann wieder. „Ich gehe davon aus, dass Sie diskret vorgehen, was Ihre Untersuchung wegen des Anrufs betrifft.“
Die Kommissare sahen ihn lediglich abwartend an.
„Ich meine, Sie geben nichts an die Presse weiter?“, konkretisierte der Heimleiter. „Das heutige Unglück wird sowieso morgen in der Unterländer Stimme stehen. Das wird sich nicht vermeiden lassen.“
„Von uns wird kein Zeitungsredakteur etwas erfahren“, beruhigte ihn Strobe. „Während laufender Ermittlungen gelangen bei uns keine Informationen nach draußen. Und in diesem Fall, wo noch nicht mal ein Ermittlungsverfahren läuft, schon gar nicht. Wir sind einfach nur verpflichtet, so einem Anruf nachzugehen. Das tun wir.
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