Graue Schatten
Offiziell sind wir ausschließlich wegen Frau Müller hier. Und wenn wir den Verdacht aus dem Weg geräumt haben, ist unser Job hier beendet.“
Der Heimleiter schien beruhigt zu sein. Er bedankte sich, streckte zuerst Strobe und dann Schell die Hand entgegen und verabschiedete sich mit den Worten: „Wenn ich noch etwas für Sie tun kann, ich bin in meinem Büro im Erdgeschoss.“
„Wir melden uns“, sagte Strobe. Er schaute dem Heimleiter, der sich auf dem von Forstfahrzeugen zerfurchten Waldweg zügig hinauf in Richtung Pflegeheim entfernte, hinterher. Der hat's aber eilig, den unangenehmen Anruf zu erledigen, dachte er. Aber vermutlich war Heilmann nur genauso kalt wie ihm. Er hörte, wie Schell den Pflegedienstleiter bat, noch einmal der Reihe nach zu berichten, wie das alles an diesem Morgen abgelaufen sei.
„Entschuldigung“, mischte Strobe sich ein. „Ich würde mich gerne irgendwo drinnen weiterunterhalten, wäre das möglich, Herr Stur?“
„Wir können in mein Büro gehen“, schlug der Dicke vor.
„Das wäre mir sehr recht. Es wird hier draußen doch langsam ungemütlich.“
Auf dem Weg ins Haus bekamen die Kriminalbeamten den Ablauf des Morgens, insbesondere alles, was mit dem Verschwinden von Frau Müller zusammenhing, noch einmal aus der Sicht des Pflegedienstleiters dargestellt.
In seinem Büro empfing sie wohlige Wärme. Sie bekamen Kaffee und Kekse angeboten. Selbst Strobe sagte nicht Nein, obwohl es schon sein dritter Kaffee an diesem Tag war, was sein Magen nicht gutheißen konnte. Der verlangte um diese Tageszeit gewöhnlich nach einem soliden Mittagstisch, welcher sich aber heute sowieso um einige Stunden zu verschieben schien.
Noch eins der süßen Stücke kauend, kam Strobe dann zur Sache: „Ist diese Frau Ullmann nicht ein Risiko eingegangen, wenn sie ihre Mutter von einer Psychiatrie in ein normales Pflegeheim hat verlegen lassen?“
„Das war eher unser Risiko“, gab der Pflegedienstleiter zu. „Wir hatten entschieden, sie aufzunehmen, nachdem wir die Krankenakte und den Bericht des behandelnden Arztes der Psychiatrie gelesen hatten. Seiner Einschätzung nach bestanden keine Weglauftendenzen.“
„Das war ja wohl ein Irrtum“, warf Schell ein.
„Das Rätselhafte ist“, sprach Stur weiter, „sie war eher apathisch. Das stand ja auch in dem Bericht. Was aber noch hinzukommt, ist, dass sie seit einigen Tagen noch schlechter lief als sonst. Das muss auch die letzten Tage in der Psychiatrie in Riedstadt schon so gewesen sein.“
„Könnten wir mal einen Blick in die Krankenakten der Frau werfen?“, fragte Strobe.
„Die Pflegedokumentationen sind im Schwesternzimmer auf der Station. Ich habe hier im Büro nur allgemeine Personaldokumente, Versicherungsunterlagen und so weiter. Ich kann die Dokumentation holen.“ Stur stand auf.
„Warten Sie“, hielt Strobe ihn auf. „Lassen Sie uns noch mal über diesen Anruf reden.“ An Schell, der schon das Fax aus der Jackentasche zog, gewandt, fragte er: „Was hat die Anruferin noch mal behauptet? Die Stelle mit den verstorbenen Patienten meine ich.“
Schell las die Stellen vor: „... In den letzten Wochen sind mehrere Patienten gestorben, die noch nicht so weit waren, ... die Bewohner ... sind in Gefahr, weil einige Ärzte anscheinend nicht fähig sind, die wirkliche Todesursache festzustellen, und weil es dort jemanden gibt, dem man eigentlich keine hilflosen Patienten anvertrauen sollte ... Da hat sie dann aufgelegt.“
„Das hat uns Herr Kienzle vom Lauffener Polizeirevier auch schon vorgelesen.“ Der Pflegedienstleiter setzte sich wieder.
„Gab es in den letzten Wochen Todesfälle mit nichtnatürlicher oder ungeklärter Todesursache?“, stellte Strobe sich unwissend.
„Ja, zwei. Die beiden Akten hat sich der Herr Kienzle ebenfalls schon angesehen.“ Der Pflegedienstleiter nickte mit ernster Miene.
„Ich würde trotzdem gerne noch mal reinschauen.“ Strobe hatte zwar von Pflege so viel Ahnung wie von chinesischer Küche, nämlich keine, war aber in jungen Jahren in seiner Freizeit Sanitäter beim DRK und damals auch bei einigen Rettungseinsätzen dabei gewesen. So kannte er immer noch ein paar medizinische Fachbegriffe. Im Übrigen verließ er sich bei Dingen, von denen er nicht viel wusste, auf seinen Instinkt, und das im Laufe seiner Berufsjahre zunehmend erfolgreich.
Der Pflegedienstleiter hatte zwei dicke Ordner aus einem Regal geholt und auf den Schreibtisch gelegt.
„Würde es Ihnen was
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