Graue Schatten
der Nachtwache. Der BZ bewegte sich im normalen Bereich. Und dann kamen mehrere widrige Umstände zusammen: Sie hat, wie gesagt, ein geklautes Stück Torte gegessen, keine Diabetikertorte wohlgemerkt, sich ins Bett gelegt, und ihr Blutzucker ist in die Höhe geschossen. Die Nachtwache musste wegen einem Notfall in den zweiten Stock, ist deshalb erst etwas später zur nächsten Zuckerkontrolle gekommen, hat zudem auch noch erfolglos beim Dienst habenden Arzt angerufen. Als dann der Rettungsarzt kam, war es vielleicht nur wenige Minuten zu spät.“
„Was heißt, erfolglos?“ Strobe nahm wahr, wie Stur bei jedem Wort, das er betonte, beide Daumen hob.
„Dr. Weißmann hatte gemeint, dass der Pfleger gleich den Rettungsdienst anrufen solle. Er hatte es abgelehnt, selber herzukommen.“
Schell notierte sich den Namen. Strobe nickte, registrierte, dass sich bei dem Wort abgelehnt die ganze Hand des Pflegedienstleiters angehoben hatte, und las die Eintragungen fertig.
„Den Tod hat in dem Fall der Rettungsarzt festgestellt?“, fragte er dann.
„In beiden Fällen.“ Der Pflegedienstleiter deutete auf den Ordner, den Schell noch studierte.
Strobe kratzte sich am Kinn. „Sie sind sich also sicher, dass Ihre Mitarbeiter alles getan haben, um die beiden Patienten zu retten?“
„Absolut!“ Sturs Daumen blieben ruhig.
„Und dass ein Mitarbeiter den beiden das Brötchen beziehungsweise die Torte zugesteckt haben könnte? Das schließen Sie aus?“
„Praktisch ja.“
„Theoretisch nicht?“
„Es kommen ja nur wenige in Frage, die Gelegenheit dazu gehabt hätten. Wobei ich das ohnehin niemandem aus dem Haus zutrauen würde.“
„Auch nicht, dass jemand so was aus Unwissenheit tut? Vielleicht hat die Verstorbene um das Stückchen Torte gebettelt? Man weiß ja, wie unvernünftig gerade Diabetiker oft sind.“
„Das stimmt allerdings. Aber dass jemand den beiden das Brötchen oder die Torte sozusagen zugesteckt hat, schließe ich aus. Unser Personal, auch Ungelernte oder Aushilfskräfte, kriegen eingeschärft und wissen genau, was verboten ist, wer Diabetiker ist und was bei bestimmten Bewohnern zu beachten ist. Das gehört dazu, wenn man hier arbeitet.“
Strobe nickte. Der Pflegedienstleiter wirkte einigermaßen überzeugt von dem, was er sagte. Dennoch konnte sich Strobe vorstellen, dass sich nicht jede Aushilfskraft aller Konsequenzen bewusst war, wenn sie einem hilflosen Heimbewohner ein Stückchen Kuchen zusteckte, wenn er danach fragte. Aber wen sollte das zu einem Anruf bei der Polizei veranlassen, bei dem er von unfähigen Ärzten und einem Menschen spricht, der für die hilflosen Patienten eine Gefahr sei, dachte er.
„Bei dem Unglück mit Frau Müller war aber doch ein bisschen Fahrlässigkeit im Spiel. Die Helferin ließ die Frau doch unbeaufsichtigt, wie Sie sagten, oder?“, meldete sich Schell plötzlich zu Wort.
„Frau Kirchner hätte die Bewohnerin nicht allein lassen dürfen“, gab Stur zu. „Sie hat ihr freiwilliges Soziales Jahr bei uns fast beendet und sollte inzwischen wissen, dass desorientierte Bewohner mitunter weglaufen. Allerdings hätte wirklich keiner damit gerechnet, dass diese Frau aus ihrem Rollstuhl aufsteht und davonläuft. Das muss man bei der Wertung ihres Verhaltens berücksichtigen. Selbst der Psychiater aus der Anstalt in Hessen, der ihren Zustand beurteilt hatte, schloss das indirekt aus.“
„Aber wen könnte die geheimnisvolle Anruferin gemeint haben? Wem kann man keine hilflosen Patienten anvertrauen? Sie bezieht sich auf eine bestimmte Person.“
„Ich kann mir das wirklich nicht denken!“ Stur wirkte inzwischen erschöpft.
Die Kommissare schwiegen.
„Frau Kirchner war sicher nicht gemeint“, fuhr Stur fort. „Sie ist bei allen sehr beliebt. Auch bei den Angehörigen der Bewohner, die in den letzten Wochen verstorben sind. Genauso Herr Linde. Das ist der Pfleger, der die Nachtwache auf Station A und B hatte, als die beiden Unglücksfälle passierten. Er leitete ja auch so schnell wie möglich die richtigen Maßnahmen ein, da gibt es keinen Zweifel. Wir haben das selbst kritisch überprüft. Und keiner kann ihm Vorwürfe machen, dass das passiert ist. Das hat auch niemand getan, weder die Angehörigen, noch sonst jemand. Er hatte einfach sehr viel Pech!“
„Hab ich das richtig verstanden, in beiden Fällen hatte der gleiche Pfleger Dienst?“, fragte Schell.
„Das haben Sie richtig verstanden.“
„Woran ist die Frau am Sonntag gestorben,
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