Graue Schatten
Abdruck einer Stange, einer Tisch- oder Schrankkante oder einer Tür, beziehungsweise eines Türrahmens. Etwa sechs Zentimeter lang. Ich betone, scharfkantig. Etwa so wie die hier.“
Er zeigte auf die Seitenkante des Aktenregals neben ihm und fügte hinzu: „Die Hautstelle an der Hand wurde mit Heparin-Salbe eingerieben.“
„Was sagt Linde dazu? Er hat die Frau an dem Morgen gepflegt.“ Der Chef suchte in Strobes Bericht nach dem entsprechenden Blatt.
„Er sagt, er wisse nichts davon“, antwortete Strobe. „Aber zu der Zeit, als das Hämatom entstanden ist, hatte Linde, laut seiner Aussage, keinen Kontakt zur Müller. Anna Kirchner hat die Frau für die Fahrt zum Krankenhaus vorbereitet. Die ist leider jetzt krank, steht angeblich unter Schock. Wir haben sie vorgeladen.“
„Gut. Ist sonst noch etwas Wichtiges herausgekommen bei der Obduktion von Frieda Müller?“, fragte Bachmüller.
„Nichts Weltbewegendes.“ Dr. Schmidtke schüttelte den Kopf. „Eine geringe Menge an Benzodiazepinen hatte sie im Blut. Aber wirklich nicht viel, weniger, als gewöhnlich bei verstorben Pflegeheimbewohnern festgestellt wird. Und sonst gibt es überhaupt nichts Auffälliges.“
„Dann belassen wir es mal so weit im Fall Müller. Ihren Ermittlungen nach, Herr Strobe, kommen vier Personen dafür in Frage, zu der Zeit an der Absturzstelle gewesen zu sein: Anna Kirchner, Hartmut Locke, Kevin Linde und der Pflegedienstleiter. Weitere zwei Mitarbeiter hatten auf der entgegengesetzten Seite des Geländes gesucht. Warten wir ab, was Hauptkommissarin Eckert über die Schuhspuren herausbekommt und gehen wir zum Fall Sausele. Da gibt es vielleicht neue Erkenntnisse?“ Der Chef schaute zu Dr. Schmidtke und alle folgten seinem Blick.
„Allerdings“, verkündete der Rechtsmediziner bedeutungsvoll und schlug andächtig in seinem Hefter die Seite mit den Ergebnissen seiner chemisch-toxikologischen Untersuchungen auf.
„Also wie gesagt, im Screening haben wir ein Benzodiazepin und das Morphium gefunden. Sonst gab es keine bedenklichen Substanzen. Aber durch die beiden Medikamente war die Frau zum Todeszeitpunkt zweifellos sediert. Gestern Abend habe ich eine Bestätigungsanalyse gemacht und festgestellt, dass die zwei Substanzen nicht zum Tod von Marta Sausele geführt haben können.“ Obwohl der Rechtsmediziner besonders das Wort nicht betont hatte, wiederholte Bachmüller ungläubig: „Nicht?“
Dr. Schmidtke nickte nur.
„Sind Sie sicher?“, fragte Strobe.
„Allerdings. Die Konzentration der beiden Stoffe in ihrem Blut ist so gering, dass sie bei der Frau unmöglich eine Atemlähmung hervorrufen konnten. Weniger als ein halbes Milligramm Morphin je Liter Blut und etwa die gleiche Menge von dem Benzodiazepin reichen dafür nicht. Falls sie eine ganze Ampulle Diazepam gespritzt bekommen hat, muss das mindestens sechs Stunden vor ihrem Tod passiert sein. In dem Fall wäre das Medikament zum Todeszeitpunkt schon größtenteils abgebaut gewesen.“
„Da die Todesursache aber definitiv Sauerstoffmangel war, heißt das, Frieda Sausele wurde erstickt?“, fragte Strobe.
Dr. Schmidtke nickte. „Darauf deuten die zahlreichen Erstickungsbefunde und die synthetischen Fasern in ihrer Mundhöhle und im Rachen hin.“
Dr. Schmidtke drehte den Kopf zu Uschi, die Hauptkommissarin übernahm den Ball. „Die Fasern haben wir mit denen vom Kissenbezug verglichen, den ihr gestern aus dem Heim mitgebracht habt – es ist das gleiche Material.“
„Das heißt, sie wurde mit einem Kissen erstickt!“, resümierte Bachmüller.
Strobe schüttelte nachdenklich den Kopf. Er wollte nicht glauben, dass Linde zu so etwas fähig war.
Der Chef ignorierte Strobes ungläubiges Kopfschütteln. „Dann versuchen wir doch mal die Mordnacht zu rekonstruieren:“, begann er. „Linde hat ihr sechs Stunden vor ihrem Tod, also etwa zwanzig Uhr, die Ampulle mit dem Beruhigungsmittel gespritzt.“ Er schaute die Kommissare an.
„... Und ihr gleichzeitig die Morphiumtabletten gegeben, die sie jeden Abend bekam“, fügte Schell hinzu.
„Richtig“, bemerkte der Chef. „Herr Dr. Schmidtke, Sie kennen die Dosis Morphium, die sie zwanzig Uhr bekam?“
„Ja. Ich hab mir ihr Medikamentenblatt angesehen.“
„War die Dosis um zwanzig Uhr hoch genug, um zur dieser Zeit lebensgefährlich werden zu können?“
Schmidkte wiegte den Kopf. „Schwer zu sagen. Einerseits war das, was sie um zwanzig Uhr bekam, ein retardiert wirksames Morphinpräparat.
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