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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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sollte er das abstreiten?
    „Was liegt also näher, als dass diejenige, die um ein Uhr vierzig den Schwesternnotruf betätigte, Frau Sausele war?“
    „Nein, die hat nicht geklingelt!“ Er musste so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben, sonst verwickelte er sich unnötig in Widersprüche, dachte Kevin, und fügte deshalb hinzu: „Es war Frau Schmidt.“
    „Aha. Also eine andere Bewohnerin hat geklingelt.“ Der Alte schien nachzudenken oder abzuwarten.
    „Verarschen können wir uns selber!“ Der Junge mit den blondierten Strähnen schrie beinahe. „Sie glauben, das Gegenteil können wir nicht beweisen, weil die Frau sowieso verwirrt ist.“
    „Verwirrt ist die ausnahmsweise nicht ...“, fing Kevin an, fürchtete aber, dass sie sich trotzdem nicht an Sonntagnacht erinnern würde.
    „Aber?“, fragte der Alte und hakte nach: „Was wollte sie?“
    „Sie hatte wohl aus Versehen auf die Klingel gedrückt.“
    „Das sagte Frau Schmidt?“
    „Ja!“
    Der Jungbulle schüttelte den Kopf.
    „Wir versuchen, das zu überprüfen. Ist es wahrscheinlich, dass die Frau sich erinnert?“, fragte der Alte.
    „Möglich.“
    „Name, Zimmernummer?“
    „Else Schmidt, Zimmer 214.“
    Der Alte notierte das und sagte: „Aber selbst wenn diese Frau Schmidt das bestätigen sollte, ändern wird es an Ihrer Situation momentan nichts. Die Gründe kennen Sie.“
    „Warum haben Sie vorhin gelogen?“, schaltete sich der Bubi plötzlich wieder ein. „Sie haben keineswegs geschlafen, als Frau Sausele getötet wurde! Sie waren in der Zeit unterwegs, wie sie gerade zugegeben haben.“
    Harry konnte Kevin mal kreuzweise. Er schwieg. Der junge Starrkopf orgelte weiter: „Sie waren total übermüdet, überlastet! Das haben uns Ihre Kollegen bestätigt. Ihnen sind einfach die Sicherungen durchgebrannt.“
    „Nicht mal ein paar Minuten Ruhe waren Ihnen vergönnt“, behauptete der Alte, allerdings wesentlich leiser. „Bei so einem Dauerstress kann es schnell zu einem Aussetzer kommen.“
    „Sie wussten, dass die Frau durch die Drogen so ruhig gestellt war, dass sie keinen Widerstand leisten würde“, dröhnte der Junge. „Und – Marta Sausele wollte sowieso nicht weiterleben. Sie haben ihr also geradezu einen Gefallen getan.“
    Der will es unbedingt wissen, dachte Kevin.
    Der Grünling, der anscheinend selber unter Dauerstress stand, laberte weiter: „Sie haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Frau wurde von ihrem unerträglichen Leiden erlöst und es gab einen Plagegeist weniger auf der Station.“
    „Dass Sie Sterbehilfe befürworten, wollen Sie aber nicht abstreiten?“, fragte nun Derrick persönlich.
    „Doch. Das streite ich ab.“ Mehr sagte Kevin nicht. Sie würden ihm jedes Wort nur noch weiter im Mund rumdrehen. Wenn man denen den kleinen Finger reichte ...
    Er fragte sich, wer alles von seinen Kollegen über ihn hergezogen war. Locke ganz sicher. Davon war er inzwischen überzeugt. Renate vermutlich auch. Und was hatten sie denen alles aufgetischt? Dass Kevin am Anfang geglaubt hatte, dass die Leute im Pflegeheim würdevoller als im Krankenhaus sterben würden? Dass er nicht mehr mit ansehen konnte, wie Apalliker reanimiert wurden? Über so etwas hatte er durchaus mal mit Renate gesprochen. Oder hatte sie den Bullen gesteckt, dass Kevin im Gegensatz zur Chefin der Meinung war, dass Hansen der Sausele zu niedrige Dosen von den Schmerzmitteln verschrieben hatte? Aber das war noch keine Sterbehilfe! Und zwischen Sterbehilfe und dem, was sie ihm vorwarfen, lagen ja immer noch Welten. Bloß, wenn er versuchen würde, das denen hier zu erklären, würde er sich um Kopf und Kragen reden.
    Kevin hatte sich in sein Inneres zurückgezogen, während die Bullen weiter auf ihn einredeten. Er bekam nur am Rande mit, dass Harry nun etwas von den vorherigen zwei Todesfällen faselte, dass er behauptete, Kevin hätte den Bewohnern die Speisen zugesteckt, und anderen Schwachsinn.
    Plötzlich konnte Kevin ein Zittern nicht mehr unterdrücken. Die zweite Nacht in Folge war er fast ohne Schlaf gewesen. Das matschige Toastbrot, was sie ihm am Morgen als Frühstück durch den Türspalt in die Zelle geschoben hatten, das hatte er nicht anrühren können. Obwohl es inzwischen schon zehn sein musste, hatte er noch nichts gegessen.
    Sie waren wohl wieder bei der Sausele gelandet. Aus seinem Schneckenhaus heraus schnappte Kevin nur das Wort Ampulle auf. Es löste eine Assoziation aus, und die begann, in seinem Hinterkopf

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