Grauen im Grand Hotel
Tannen, Fichten und Lärchen verschwand.
Mein Gott, es war ein Genuß, hier Urlaub zu machen. Ich hatte einem Ehepaar zugehört, das bis in das einsame Fextal wandern wollte, denn dort sollte die Welt zu Ende sein.
So weit wollte ich nicht. Mich interessierte mehr ein anderer Teil des großen Grundstücks, auf dem das Haus untergebracht worden war, wo dieser angebliche Psychologe seine Seminare abhielt. In der Tennishalle sicherlich nicht, deren Fassade durch das Grün der Bäume schimmerte. Ich fand einen schmalen Weg, der an der Halle vorbeiführte und praktisch in einen Park hineinglitt, wo ein einsames Landhaus stand.
Das mußte es wohl sein. Für mich gab es keine andere Alternative, denn ein weiteres Haus war nicht zu sehen.
Ich blieb in Deckung stehen, schaute zu dem Eingang und auch zu den halbrunden, großen Fenstern, die ihn flankierten. Das Haus hatte ein ziemlich breites Dach.
Keine Spur von Satorius.
Ich ging weiter, aber nicht auf das Haus zu, sondern umrundete es in einem großen Bogen.
Der Wald lichtete sich, ein kleiner Park öffnete sich mir. Wenn ich nach links schaute, konnte ich die Rückseite des Hotels sehen, bei der die untere Etage nur aus Glas bestand. Ein Zeichen, daß sich dahinter ein großer Saal verbarg. Sicherlich das Restaurant. Ich schlenderte weiter, und mir fiel auf, daß der Untergrund nicht mehr so eben blieb, wie ich ihn bisher kannte. Nicht daß er aufgewühlt oder aufgegraben worden wäre, ich sah nur dunklere Flecken, als wäre dort der Rasen nachträglich eingelegt worden, weil man ihn zuvor ausgestochen hatte.
»Absicht? Zufall?«
Meiner Ansicht nach paßte das nicht zu dieser glatten Fläche. Dort mußte jemand etwas vergraben haben.
Ich schaute nach rechts. Schon zuvor war mir das helle Schimmern aufgefallen. Beim Näherkommen sah ich, daß zwischen zwei Bäumen und schräg gestellt eine helle Holzbank stand.
Sie war besetzt.
Eine Frau saß dort. Sie trug Jeans und hatte die Beine übereinandergeschlagen. Ihr langes, dunkles Haar zeigte einige helle Strähnen. Die Füße steckten in dünnen Schuhen, sie wippte mit dem rechten und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr roter Pullover leuchtete wie ein heller Fleck.
Ich ging lässig auf die Bank zu. Für mich war es wichtig, mit der Frau zu reden, denn ich hielt sie für eine von Satorius' Patientinnen. Sie nahm mich kaum zur Kenntnis und nickte nur, als ich mich danach erkundigte, ob ich neben ihr Platz nehmen dürfte.
Ich ließ mich nieder.
Aus den Augenwinkeln sah ich sie an.
Ihre Haut war bleich, das Gesicht schmal. Kein Rouge und kein Lippenstift lagen auf ihrem Gesicht, und ihr Blick war in eine Ferne gerichtet, die irgendwo in einer anderen Welt zu liegen schien. Sie saß da wie eine Tote. Ich mußte schon sehr genau hinschauen, um sehen zu können, daß sie überhaupt atmete.
Ich fing es blöd an, aber das war halt so. »Schöner Tag heute, nicht wahr?«
Sie hob nur die Schultern.
»Das meint auch der Doktor.«
Jetzt zeigte sie eine Reaktion.
Für einen Moment versteifte sie sich, dann drehte sie mir ihr Gesicht zu.
»Gehörst du auch zu uns?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Ja. Ich bin heute angekommen.«
»Deshalb kenne ich dich nicht.«
»Ich bin übrigens John Sinclair. Und du?«
»Monica Grandi.«
»Italienerin?«
»Nein, ich stamme aus dem Tessin.«
»Sehr schöne Gegend. Ich kenne Ascona. Da läßt es sich schon aushalten, finde ich.« Sie zuckte mit den Schultern.
Ich bohrte weiter. »Wie ist der Doktor denn? Bisher habe ich nur von ihm gehört…«
»Er gibt dir den Mut«, sagte sie leise.
»Wozu?«
»Den neuen Weg zu gehen. Du mußt ihn einschlagen. Er öffnet das Tor zu einer anderen Welt.«
»Das habe ich schon gehört.«
»Es ist eine wunderbare Welt, die man mit keiner auf dieser Erde eintauschen kann.«
»Vielleicht das Jenseits?« fragte ich vorsichtig.
Auch jetzt blieb sie völlig ausdruckslos. Mehr als ein Nicken deutete sie nicht an.
»Wie gelangt man dorthin?«
»Das darfst du mich nicht fragen«, sagte sie leise. »Da muß du dich bei Dr. Satorius erkundigen.«
»Wann kann ich ihn denn sprechen?«
»Ich kenne seinen Terminkalender nicht.«
»Kann ich mir vorstellen, sicher.« Ich nickte und beugte mich vor. Meine Hände hatte ich ineinander verknotet und die Arme ausgestreckt. »Und weshalb sitzt du hier?«
»Ich warte auf das neue Leben.«
»Ach ja?«
Jetzt nickte sie. »Es ist zum Glück mein letzter Tag. Ich nehme Abschied von
Weitere Kostenlose Bücher