Grauen im Grand Hotel
hier.«
»Du willst sterben?«
»O nein«, flüsterte sie und fing an zu lächeln. Sie schaffte es zudem, einen engelhaften Ausdruck auf ihr Gesicht zu zaubern. »Das hat mit sterben nichts zu tun. Ich werde nur den Weg gehen, der für mich vorgesehen ist. Der Doktor hat mich lange darauf vorbereiten können. Endlich ist es soweit.«
»Aber stimmt es dich nicht traurig, daß du alles zurückläßt? Familie, Freunde, Bekannte…«
»Nein.«
»Und auch nicht deinen Beruf?«
»Er war nicht wichtig.«
Ich fragte dennoch weiter, weil ich mich in eine bestimmte Spur verbissen hatte. »Warum war er nicht wichtig? Was hast du denn getan?«
»Ich war Sekretärin.«
»Und wo?«
»In Genf, bei einer Behörde…«
Das konnte nichts, aber auch alles bedeuten. Für mich ging ich davon aus, daß Monica Grandi einer gewissen Agententätigkeit nachgegangen war, hakte aber nicht näher nach, denn mich interessierte Satorius. Ich fragte sie, ob sie mich zu ihm führen könnte.
»Nein, das kann ich nicht.«
»Was hindert dich daran?«
»Du mußt den Weg allein gehen.«
»Ich bin aber nicht allein. Ein Freund von mir ist auch bei euch. Wladimir, kennst du ihn?«
Sie dachte einen Augenblick nach, bevor sie den Kopf schüttelte. »Nein, nie gehört. In unserer Gruppe war er wohl nicht.«
»Das ist möglich.«
Sollte ich mich darüber freuen oder nicht, daß sie von Wladimir noch nichts erfahren hatte. Ich wußte es nicht. Ich mußte alles so nehmen, wie es kam.
»Du magst den Doktor, nicht wahr?«
»Ja«, sagte die junge Frau. »Er ist wunderbar. Er hat uns den Weg gezeigt, den richtigen, meine ich. Er ist so überzeugend. Er hat uns auch klarmachen können, daß wir bisher den falschen Pfad gegangen sind. Den absolut falschen.«
»Warum das denn?«
»Viele haben verraten, betrogen, sie haben…«, Monica Grandi schluckte, dann schloß sie den Mund so heftig, als hätte sie etwas völlig Böses gesagt.
»Warum redest du nicht weiter?«
Die Antwort bekam ich von einem Mann. Er gab sie mir als Frage. »Und warum bist du so neugierig, Schnüffler?«
Ich drehte mich nicht um, ich veränderte nicht einmal meine Haltung, hielt den Kopf leicht nach vorn gebeugt und schielte zur Seite, um Monica Grandi beobachten zu können. Sie mußte den Sprecher auch gehört haben, aber sie reagierte nicht darauf. Starr hockte sie auf der Bank, war allerdings innerlich aufgeregt, denn eine leichte Röte überzog ihr Gesicht.
Ich hörte die Schritte, als sich der Sprecher in Bewegung setzte. Es sah so aus, als wollte er die Bank umrunden, doch er blieb stehen, als er sich mit mir auf einer Höhe befand. Er schaute auf mich hinunter, ich hob den Kopf an und ließ meinen Blick an der mächtigen Gestalt hochgleiten. Zuerst dachte ich, es mit dem Kerl zu tun zu haben, der mir schon oben im Flur begegnet war. Er trug die gleiche Kleidung, auch die Pudelmütze, nur war diese nicht schwarz, sondern grau. Und das unterschied die beiden eben.
Ich blieb gelassen. »Wieso Schnüffler?«
»Weil du so dumm redest.«
»Ich will mich nur informieren. Ich habe von dem Doktor gehört und möchte bei ihm einen Kurs belegen.«
»Das bestimmst nicht du, sondern er.«
»Ich weiß es. Aber man darf doch wohl mit ihm sprechen — oder etwa nicht?«
»Der Doktor allein bestimmt, mit wem er sich unterhält. Ich glaube kaum, daß du da Chancen hast.«
»Können wir das nicht auf einen Versuch ankommen lassen?«
»Nein!« Er hatte sehr entschieden gesprochen, wechselte seinen Standort und baute sich vor Monica Grandi auf, beide Hände in die Hüften gestemmt, so daß er einen furchteinflößenden Eindruck hinterließ. Auch auf sie schaute er kalt nieder.
Die junge Frau kam mir vor, als würde sie noch stärker in sich hineinkriechen. Sie machte sich so schmal wie eine Katze, die durch einen bestimmten Türspalt kriechen wollte, und sie traute sich auch nicht, etwas zu sagen.
»Der Doktor will nicht, daß du jedem Hergelaufenen über uns berichtest. Weißt du das nicht?«
»Aber er hat mich gehen lassen. Ich wollte nur noch Abschied nehmen, verstehst du?«
»Nein, du kommst jetzt mit.« Er streckte ihr seine Hand entgegen, aber Monica rührte sich nicht.
Ich mischte mich ein. »Aber wenn sie nicht will…«
Er fuhr herum. »Halte du dich raus, wenn dir deine Gesundheit lieb ist.«
»Denkt dein Doktor auch so?«
Die Frage paßte ihm nicht. Er sah so aus, als wollte er sich auf mich stürzen, hielt sich aber zurück. Er brauchte seinen Befehl nicht
Weitere Kostenlose Bücher