Grauen im Grand Hotel
hundertprozentig. Aber reden Sie weiter, bitte.«
»Die Gäste, die bei Dr. Satorius einen Kurs belegt haben, sind nicht so locker.«
»Kann sein.«
»Sie sind in sich gekehrt und reisen immer plötzlich ab. Dabei habe ich nie einen gesehen.«
»Dürfte ich das genauer wissen?«
Der Boy nickte und trat näher auf mich zu. Er war noch jung. Unter seinem dunklen Haar wirkte das Gesicht blaß. Auf seiner Oberlippe schimmerte der Ansatz eines Bartes. »Ich weiß auch nicht, weshalb ich Ihnen das erzähle, Herr Sinclair, aber ich habe zu Ihnen Vertrauen gefaßt. Mir macht dieser Doktor Angst.«
»Tatsächlich?«
»Er ist so düster, wenig offen. Und er hat einen Blick, als wollte er mit dem die Seele eines Menschen durchbohren. Vielleicht täusche ich mich auch, aber ich glaube nicht.«
»Kennen Sie ihn näher?«
Diese Frage erschreckte ihn, denn er hob beide Arme. »Nein, um Himmels willen. Ich kenne ihn nicht näher, und ich möchte ihn auch nicht näher kennenlernen, aber ich möchte Ihnen davon abraten, seinen Kursus zu besuchen, denn eine Kollegin von mir, sie ist Zimmermädchen, hat des öfteren schon Schreie in der Nacht gehört, als sie ins Dorf ging.«
»Wo war das?«
»In seinem Haus.«
»Angstschreie?«
Er hob die Schultern. »Das müßte man eigentlich annehmen, aber so genau weiß ich es nicht.«
»Hm«, brummte ich und nickte. »Da hätte ich dann noch eine Frage. Kennen Sie auch den Gast aus Zimmer zweihundertzweiundzwanzig?«
»Den Russen?« Er gab sich selbst die Antwort. »Ja, den kenne ich. Er wohnt erst seit heute hier.«
»Und Sie haben ihn nicht gesehen?«
»Nur bei seiner Ankunft. Ich weiß auch nicht, ob er sich auf seinem Zimmer aufhält. Ist es ein Bekannter von Ihnen?«
»Ja, ein Freund.«
Der junge Mann wurde plötzlich verlegen. »Bitte, vergessen Sie, was ich Ihnen sagte. Es ist sonst nicht meine Art, mit einem Gast über andere Gäste zu sprechen. Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist. Ich mußte einfach reden.«
»Keine Sorge, das macht nichts. Im Gegenteil, Sie haben mir sehr geholfen. Ich darf mich herzlich bei Ihnen bedanken. Und habe trotzdem noch eine Frage. Werden die Kurse nur von Männern besucht oder auch von Frauen?«
»Nein, gemischt.«
»Danke.«
Der junge Mann drehte sich um und verschwand so schnell, als hätte er ein schlechtes Gewissen.
Die Tür hatte er hinter sich geschlossen, und mein sehr nachdenklicher Blick streifte das dunkle Holz. Dann drehte ich mich um, denn ich wollte den Koffer so schnell wie möglich auspacken.
Viel hatte ich nicht mitgenommen. Wichtig waren vor allen Dingen meine Waffen. Ich besaß so etwas wie einen Persilschein, der mich dazu berechtigte, auch in anderen Ländern Waffen zu tragen. Deshalb gab es keine Schwierigkeiten beim Zoll. Auf diesen Satorius war ich wirklich gespannt. Den Aussagen nach schien er Macht über Menschen zu haben. Er gehörte wohl zu den modernen Gurus, denen viele nachlaufen.
Psychologe nannte er sich.
Ich traute ihm nicht, denn mir fiel wieder der Text in Degens Abschiedsbrief ein.
Der Mann hatte geschrieben, daß er in den Tod gehen wollte, und daß dieser Tod für ihn so etwas wie ein neues Leben wäre. So etwas konnte man einem Menschen einreden, wenn man es geschickt genug anfing. Wenn das tatsächlich stimmte, dann fragte ich mich, was dieser Satorius den Leuten alles versprach. Hinzu kam noch, daß die Kursteilnehmer ungewöhnlichen Berufen nachgingen und für den Geheimdienst gearbeitet hatten. Und ich hatte das Problem mit der lebenden Leiche erlebt. Das kam auch noch hinzu.
Der Gedanke lag nahe, daß dieser Satorius möglicherweise ein Zombiemacher war und sich ausgerechnet seinen Platz hier in dieser herrlichen Gegend ausgesucht hatte, weil niemand damit rechnete, daß hier das Böse Einzug halten konnte.
Bisher waren es Vermutungen. Ich aber nahm mir vor, die Beweise dafür zu finden.
Ich atmete tief durch, öffnete die Tür der Minibar und trank eine kleine Flasche Wasser. Dabei überlegte ich, ob Wladimir Golenkow an demselben Fall arbeitete wie ich.
Bestimmt, denn daß hier zwei Fälle zusammenliefen, war doch mehr als unwahrscheinlich. Es war für mich jetzt wichtig, das ich mit meinem russischen Freund Kontakt bekam.
Er wohnte nur zwei Zimmer entfernt.
Obwohl mich das Bett irgendwie lockte, überwand ich den Zustand der Müdigkeit und verließ mein Zimmer. Wenige Schritte später blieb ich vor der Tür mit der Nummer 222 stehen.
Ich klopfte.
Keine
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