Grauen im Grand Hotel
hätte ihm gern meine Säge zu schmecken gegeben, aber… na ja, vielleicht klappt es später.«
»Bestimmt sogar.« Rocco öffnete die Tür. »Willst du die Leiche nehmen oder das Werkzeug?« Damit waren der Spaten und die Schaufel gemeint.
»Das Werkzeug.«
»Okay.«
Beide Männer verließen den Wagen. Eine kühle, aber sehr würzige Waldluft umgab sie. Doch Männer wie ihnen war es egal, ob sie den Balsam für die Lungen einatmeten, sie dachten einzig und allein an die vor ihnen liegende Aufgabe.
Argus hatte sein ›Spielzeug‹ über die Schulter gelegt. Wie auch sein Partner, so mußte er sich ebenfalls unter den oft störenden Zweigen wegducken oder sie mit einer Hand zur Seite schlagen. Dieser Teil des Geländes war dicht bewachsen, doch einer der Gäste verlief sich hierher kaum.
Sie waren zu hören. Die Stimmen nahe der Tennishalle schallten über die Wipfel hinweg bis zu ihnen.
Rocco öffnete die hintere Klappe. Fast wäre ihm die Tote entgegengefallen. Sie sah aus wie eine wächserne Puppe. Das Gesicht war starr, die Augen ebenfalls, und an ihrem Hals klaffte eine breite Wunde, die an den Seiten blutverkrustet war.
Sie hatte mit dem Messer sehr tief geschnitten und keine Überlebenschance gehabt.
Rocco zog die Leiche an der Schulter zu sich heran, wuchtete sie hoch und dann über seine linke Schulter. Er trat zurück, damit sein Kumpan an das Werkzeug herankam.
Argus griff nach dem Spaten und der Schaufel. Auf seiner Schulter war noch Platz. Rechts lagen die beiden Werkzeuge, links hatte die Kettensäge ihren Platz gefunden.
Beides hielt er mit den Händen fest.
Den Weg kannten sie.
Rocco ging vor. Einige Male fluchte er, als die Zweige zu dicht wuchsen. Immer wieder peitschten sie zurück, wenn er sich gerade freie Bahn geschaffen hatte.
Auf dem weichen Boden waren ihre Schritte kaum zu hören. Nur mehr ein dumpfes Schaben hörten sie hin und wieder.
Sie schreckten auch Vögel auf, die sich kreischend beschwerten, wenn sie aus dem dichten Tann in die Höhe flogen. Die Männer gingen, ohne zu sprechen. Sie wirkten wie finstere Gestalten, denen man nicht einmal bei Tageslicht begegnen wollte.
Ihr Ziel war ein bestimmter Fleck innerhalb des doch sehr großen Parkgeländes.
Eine Wiese, umrahmt von dicht beisammenstehenden Nadelbäumen und an einer Seite begrenzt durch die mächtige Rückfront des schon schloßähnlichen Hotels.
Das war genau der Ort, der Platz, der bei Anbruch der Dunkelheit die zentrale Rolle spielte. Bis dahin aber mußten sie alles geschafft haben, niemand durfte sie stören oder entdecken.
Satorius hatte ihnen genaue Instruktionen erteilt. Sie kannten sich aus, sie wußten Bescheid, und sie führten diese makabre Arbeit nicht zum erstenmal durch.
»Irgendwann werde ich mich mal als Totengräber bewerben«, sagte Rocco, der die Leiche schleppte.
»Da sind bestimmt noch Stellen offen.«
Er lachte. »Ich frage mich nur, ob die Stadtverwaltungen dann damit einverstanden sind, wenn ich den Typen sage, daß die Toten wieder zurückkehren werden.«
»Wäre doch mal was Neues.«
»Meinst du?«
»Sicher.«
Das Gespräch versickerte. Ab und zu stieß das Spatenblatt mit dem der Schaufel zusammen. Die dabei entstehenden Geräusche waren für die Männer die Aufforderung, weiter zu gehen und keine Pause einzulegen. Sie mußten durchhalten. Wenn sie versagten, half ihnen auch keine Kettensäge mehr.
Beide lachten befreit auf, als sie den Waldrand sahen. Die einzelnen Bäume wuchsen jetzt weiter auseinander. Durch die Zwischenräume hätte auch ein Lastwagen gepaßt.
Vor ihnen lagen das Feld, die Wiese, der Friedhof. Die langen, hellen, trockenen Tage waren vorbei. Besonders an den feuchten Stellen hatten sich erste dünne Schwaden gebildet, die immer mehr Nachschub bekamen und vom Wind wie blasse Tücher vorangetrieben wurden, wobei es für sie keine Hindernisse gab. Auch über der großen Rasenfläche breiteten sie sich aus. Manchmal sah das Gras aus, als würde es sich bewegen.
»Ideales Horrorwetter«, sagte Rocco. »So habe ich mir Beerdigungen schon als Kind vorgestellt.«
»Ich auch.«
»Komm.«
Argus ging hinter seinem Kumpan her. Es war kühler geworden, und die Luft klebte manchmal wie ein dünnes, feuchtes Tuch auf ihren Gesichtern. Der Rasen vor ihnen zeigte nicht nur das satte, gesunde Grün. Es gab auch Flecken, wo die braune Erde einen breiten Rand bildete. Dort war sie ausgehoben und nur unvollkommen wieder abgedeckt worden. Sie zählten nicht nach, aber
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