Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Brachlandes wieder schlafen gelegt zu haben schien.
Ein kalter Wind wehte über das offene Land und fuhr erbarmungslos unter die Kleidung. Irgendwo in der Nähe raschelten einige trockene Büsche, sonst war das Land wieder still.
»Ich glaube, unsere Theorie, dass diese Bestien Häuser meiden, können wir getrost vergessen.« Wulfs Stimme klang nachdenklich und ruhig, als würde er zu sich selbst sprechen. »Von nun an müssen wir noch vorsichtiger sein.«
Daryll stieg aus dem Wagen und stellte sich etwas abseits der beiden Männer mitten auf die Straße. Wie er da so auf dem Mittelstreifen stand, die Arme kraftlos an den Seiten herabhängend, wirkte er klein und zerbrechlich inmitten der ausgedehnten Felder.
»Hey, Daryll.«
Der Junge, in dessen Gesicht immer noch der Schock geschrieben stand, drehte sich zu Wulf um.
»Du hast das eben richtig toll gemacht, als ich im Drugstore war.«
Wulf nickte in Richtung der Magnum, die wie ein zu groß geratenes Spielzeug in Darylls Hand lag. Über das Gesicht des Jungen legte sich der Anflug eines Lächelns. Dann drehte er sich wieder in Richtung Stadt. Wulf trat neben ihn ohne ein Wort zu sagen und blickte ebenfalls in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Kagan´s Creek glich einem kauernden Betonklotz inmitten von braunen und gelben Feldern.
»Sie nehmen uns eins nach dem anderen«, sagte Daryll.
Wulf sah, dass die Lippen des Jungen zitterten. Seine Augen waren schmale Schlitze. Tränen hatten sich ihren Weg durch den Schmutz in seinem Gesicht gesucht und waren getrocknet.
»So darfst du nicht denken.« Noch bevor er den Satz beendete, wusste Wulf, dass der Junge Recht hatte. »Wir dürfen mit unseren Gedanken und Hoffnungen nicht mehr in der Zeit vor der Katastrophe leben. Die Welt war eine andere gewesen. Und die Voraussetzungen für uns Menschen ebenfalls.«
Wulf vermied es, den Jungen anzusehen. Daryll wirkte wie ein kleines Kind, das sich im finsteren Wald verlaufen hatte. Er sah plötzlich Mikey, wie er durch die Straßen von Deep River taumelte, auf der Suche nach seinem Vater. Die gleiche Niedergeschlagenheit, die gleiche Furcht.
»Wir müssen uns anpassen«, fuhr er nach einer Weile fort. »Gott hat uns auserwählt, zu überleben. Und es liegt nun an uns, dieses Geschenk zu nutzen und das Beste aus dieser neuen Welt zu machen.«
»Gott?« Daryll spie das Wort förmlich aus. Seine Stimme nahm einen harten Klang an. Er wandte Wulf sein Gesicht zu. Erneut rannen Tränen über seine schmutzigen Wangen. »Wie kannst du noch von Gott sprechen?« Er schüttelte voller Empörung den Kopf, als hätte ihn Wulf gerade eines Verbrechens bezichtigt, das er nicht begangen hat. »Das hier hat nichts mehr mit Gott zu tun. Wir sind alleine hier unten, merkst du das nicht, Mann? Wir und diese Bestien. Sonst gibt es nichts mehr.« Er schüttelte erneut den Kopf. »In Kagan´s Creek gibt es keinen Gott mehr. Und auch nicht in Devon.« Er breitete die Arme aus, als wäre er ein Schauspieler auf einer gigantischen Bühne. »Du wirst Gott hier nirgends finden.«
Daryll starrte über die Felder, als versuchte er Gott mit seinen Worten herauszufordern. »Du hast selbst einen Sohn gehabt«, flüstert er schließlich mit erstickter Stimme. »Willst du ihm auch sagen, dass alles Gottes Wille ist und wir daran glauben sollen, dass alles wieder gut werden wird? Willst du das Mikey erzählen? Dass es ein Geschenk ist, dass sein Vater überlebt hat, während er von diesen Kreaturen …«
Daryll verstummte, bevor er seine verletzenden Waffen auf den massigen Mann vor ihm abfeuern konnte.
»Red’ nicht von Gott.«
Er drehte sich wieder in Richtung Stadt, wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke über das Gesicht und zog schniefend seine laufende Nase hoch. Wulf legte dem Jungen zögerlich einen Arm um die schmächtige Schulter. Eine Schulter, die im Moment zu klein und zerbrechlich schien, um die Bürde der neuen Welt tragen zu können. Daryll zuckte nicht zurück, reagierte aber auch in keiner anderen Form. Sein Körper zitterte leicht unter Wulfs Berührung.
»Okay, lassen wir Gott aus dem Spiel. Was denkst du, was wir machen sollen? Aufgeben?«
Lange Zeit standen sie schweigend nebeneinander. Ein Mann und ein Junge, die Vater und Sohn hätten sein können, in ihrer unsäglichen Furcht einander angenähert. Sie starrten beide nach Kagan´s Creek, das in der Ferne kauerte; still, dunkel und tödlich.
»Wir können nicht aufgeben«, ergriff Wulf nach einer Weile wieder das Wort. Der Wind
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