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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn eine Bedrohung für die Gruppe darzustellen. Was sie erlebt haben musste, hatte ihr sämtlichen Lebenswillen geraubt. Dennoch war Vorsicht weiterhin das oberste Gebot.
»Warte hier«, sagte er leise und hob seine freie Handfläche.
Mit langsamen Schritten ging er zum Bus zurück, ohne das Mädchen aus den Augen zu lassen. »Murphy, leg eine weitere Decke auf den Sitz neben dir. Wir werden sie mitnehmen. Daryll, du kommst mit mir.«
»Ist sie …«, fragte Demi und sah Wulf mit ängstlichen Augen an.
»Nein. Sie scheint nur verwirrt. Aber sie ist nicht verletzt.«
Als Daryll die Stufen des Einstiegs heruntersprang, hielt ihn Wulf zurück. »Bleib hinter mir. Sie scheint zwar keine Gefahr darzustellen, aber man kann nie wissen.«
Er ging wieder zu dem Mädchen zurück, die Waffe immer noch zum Boden gesenkt. Sie stand nach wie vor reglos auf der Straße und starrte auf den grauen Asphalt. Ihre Gedanken schienen weit weg zu sein.
»Das hier ist Daryll«, sagte Wulf, doch das Mädchen reagierte nicht. Sie blickte nicht einmal auf, als Wulf sich ihr vorsichtig näherte. Mit einem Handzeichen wies er Daryll an, in etwa drei Metern Abstand zu warten. »Du willst sicher nach Mayfield.« Er blickte den Freeway entlang. Doch vor ihnen lag nur offenes Land und ein grauer Horizont. »Wir werden dich mitnehmen, okay?«
Wulf glaubte, so etwas wie ein langsames Nicken zu erkennen. Doch das konnte ebenso Einbildung sein.
»Komm, Daryll.«
Er winkte den Jungen zu sich heran, der mit zögerlichen Schritten näher kam. Er blieb so stehen, dass sich Wulf zwischen ihm und der Fremden befand. Das Mädchen machte ihm Angst, denn sie erinnerte ihn an Mary Jane, kurz bevor seine Freundin einfach verschwunden war. Das Mädchen vor ihm schien zwar nicht verletzt zu sein, doch wer konnte ihm garantieren, dass sie deshalb nicht infiziert war?
»Nimm ihren linken Arm, ich nehme den rechten. Dann führen wir sie zum Bus.«
Daryll stellte sich in Gedanken vor, wie sie die Fremde packten und zum Wagen trugen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie freiwillig mit ihnen mitgehen würde.
Wulf hatte sich die rechte Seite des Mädchens ausgesucht, damit er seine Waffe in seiner rechten Hand halten konnte, während er mit der linken Hand den Oberarm des Mädchens umfasste. Er hatte das Gefühl, blanke Knochen zu berühren. Sie schien seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Dazu hatte der lange Marsch den Freeway entlang ihre letzten Reserven aufgebraucht.
Wulf rechnete damit, dass sie sich wehren und die Berührung von Fremden sie aus ihrer Lethargie wecken würde. Doch sie blieb reglos. Nachdem Daryll den linken Arm des Mädchens umfasst hatte, gingen sie mit kleinen, bedächtigen Schritten auf den Bus zu, wo Murphy sie vor der Tür mit angelegter Waffe erwartete. Wulf schüttelte stumm den Kopf und der alte Mann ließ die Waffe sinken.
Das Mädchen setzte zaghaft einen Fuß vor den anderen. Ihre Schuhe waren nur noch bunte Fetzen. Als sie die Stufen des Einstiegs erreichten, kletterte sie von sich aus in den Wagen und blieb dann unschlüssig stehen. Wulf dirigierte sie zu dem Sitz neben Murphy, den dieser mit zwei Wolldecken gepolstert hatte. Die Fremde setzte sich, faltete die Hände im Schoß und starrte durch die schmutzige Windschutzscheibe.
Sie machte einen unheimlichen Eindruck. Ihr Blick war vollkommen leer, ohne jede Emotion, die Gesichtszüge wirkten erschlafft. Wulf fragte sich, ob sie nicht vielleicht doch infiziert war. Aber es war keine Verletzung zwischen Schulter und Hals zu sehen. Auch war kein Blut zu erkennen, das durch den Stoff ihrer Kleidung trat und auf eine versteckte Verletzung hindeutete. Sie saß einfach nur da, starrte auf die Straße hinaus und hing Gedanken nach, die nur für sie selbst bestimmt waren.
Wulf hoffte inständig, in Mayfield auf Überlebende zu treffen, denn das Mädchen gab ihm zu viele Rätsel auf, für deren Lösung er nicht der richtige Mensch war. Er war eher pragmatisch veranlagt und konnte mit einem Menschen, der sich ihm vollkommen verschloss, nicht umgehen. Vielleicht würde es später Demi oder Daryll gelingen, ihre unsichtbare Schutzmauer zu durchbrechen und zumindest ihren Namen in Erfahrung zu bringen. Bis dahin würde sie einfach ›die Fremde von der Straße‹ bleiben.
Er beugte sich zu den beiden Kindern, die wieder ihre Plätze eingenommen hatten. »Behaltet sie im Auge«, flüsterte er kaum wahrnehmbar. »Wenn ihr eine Veränderung

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