Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
feuern konnten.
»Sie sind unbewaffnet. Ich sehe das als Zeichen, dass ihr keine böswilligen Absichten habt.«
Wulf kam um ein Lächeln nicht umhin. »Wie ich bereits sagte, unsere Gruppe besteht aus einem alten Mann und zwei Kindern.«
»In Zeiten wie diesen können selbst Kinder zu Kriegern werden.«
Wulf schüttelte den Kopf. »Keine Sorge. Daryll und Demi sind Kinder geblieben. Auch wenn sie viel durchgemacht haben.«
»Sind es Ihre Kinder?«
Wulf spielte mit dem Gedanken, seine Geschichte, die er bisher auf Demi und Daryll angewandt hatte, aufrecht zu erhalten. Doch Mayfield war eine Fügung des Schicksals. Hier konnten sie Hilfe, Nahrung und Unterschlupf erwarten. Er wollte dies nicht riskieren, indem sein Willkommensgeschenk eine Lüge war.
»Nein. Ich habe sie zufällig in Devon getroffen und mich ihnen angeschlossen.«
Der Soldat nickte nachdenklich. »Devon ist weit entfernt.« Seine militärische Haltung hatte sich längst entspannt. »Okay, ihr scheint in Ordnung zu sein. Aber bevor ihr in die Stadt kommt, erlaubt mir, dass wir Ihre Leute untersuchen. Wir haben einen Arzt hier.«
Die letzten Worte sprach der Mann mit sichtlichem Stolz. Er sah Wulf abwartend an, während er den Lauf der Waffe nun zu Boden richtete. Erleichtert stellte Wulf fest, dass seine Männer es ihm unaufgefordert gleich taten. Der Major schien der Initiator seiner kleinen Enklave zu sein, der sich auf die Loyalität seiner Leute verlassen konnte.
»Warten Sie hier. Ich werde Dr. Shoemaker holen.«
Er wandte sich ab, hielt dann jedoch noch einmal inne um sich erneut an Wulf zu wenden: »Mein Name ist übrigens Stevenson. Joshua Stevenson.«
Er trat vor Wulf und reichte ihm die Hand. Dieser nahm den schwachen Geruch von Motoröl und Fett an der Kleidung des Mannes wahr.
»Jim«, antwortete er und erwiderte den kräftigen Händedruck des Soldaten. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Major. Ich hätte nicht damit gerechnet, irgendwann wieder auf Menschen zu treffen.«
Stevenson schüttelte den Kopf und lächelte bekümmert. »Es gibt auch nicht mehr viele von uns.«
Er wandte sich ab und ging zum Tor zurück.
»Übrigens«, rief er über die Schulter, ohne sich ein weiteres Mal umzublicken. »Worte wie ›Major‹ oder ›Captain‹ sind mit der Welt untergegangen. Ich bin einfach nur Stevenson. Oder Joshua. Das liegt ganz bei Ihnen.«
III
Dr. Shoemaker war ein Mann von ungefähr sechzig Jahren mit grauen Haaren und würdevollem Auftreten. Er trug einen Arztkoffer aus schwarzem Leder bei sich und machte den Eindruck, als sei der Untergang der Menschheit an ihm vorbeigegangen. Er hatte Murphy mit einem kurzen Nicken begrüßt und mit den Kindern geplaudert, wobei Wulf nicht entgangen war, dass sein Blick während der Unterhaltung ihre Körper gründlich untersuchte, besonders den Bereich an Hals und Schulter.
Meg betrachtete er etwas eingehender. Doch dann gab er Stevenson, der vor dem Tor der Stadt zurückgeblieben war, ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Wulf glaubte sogar auf die Entfernung hin zu erkennen, wie sich der Soldat entspannte. Mit einer theatralischen Geste winkte er und gab seinen Leuten zu verstehen, dass sie das Tor öffnen sollten.
Zwei Stunden später saßen sie in einem kleinen, jedoch gemütlichen Hotelzimmer und aßen gegarte Kartoffeln mit gebratenem Speck und Gemüse, die ihnen Stevenson in Begleitung einer jungen Frau gebracht hatte. Dann waren sie wieder alleine gelassen worden.
Während sie aßen, warfen sich Wulf und sein Gefolge gegenseitige Blicke zu. Auf ihren vollen Mündern lag jeweils ein zufriedenes Lächeln. Die Tischmanieren wurden an diesem Nachmittag sowohl von den Kindern, als auch den beiden Männern völlig außer Acht gelassen. Erst jetzt, im Zuge dieser üppigen, wohlschmeckenden Mahlzeit, spürte jeder von ihnen einen tiefen, verzweifelten Hunger, der mit lautem Geschrei an die Oberfläche ihres Bewusstseins drängte. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Doch zum ersten Mal seit beinahe drei Wochen fühlten sie sich wieder wie Menschen. Selbst Demi aß, wenn auch weit weniger als die anderen.
Meg war nicht bei ihnen. Nachdem sie das Hotel erreichten und Joshua ihnen zwei Zimmer zugewiesen hatte, bat Dr. Shoemaker, sich in einem kleinen Raum beim Empfang, der als Arztpraxis eingerichtet war, um das Mädchen kümmern zu dürfen. Wulf hatte den Eindruck, dass Meg bei Shoemaker in guten Händen sei. Der alte Mann machte einen seriösen und offenen Eindruck auf ihn. Das gleiche galt für Joshua und
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