Graues Land (German Edition)
hingeben.
Ihr Gesicht wirkt friedlich. Die Augen sind geschlossen und gleichen schwarzen Kohlestücken, die man ihr in die Höhlen gedrückt hat. Die spröden Lippen sind zu einer schmalen Line zusammengezogen. Ein Zeichen dafür, dass sie träumt.
Ich schiebe den Tisch direkt vor das Fußende des Bettes, stelle Barrys Gerät so auf, dass der kleine, aufklappbare Bildschirm zum Bett zeigt, und schalte es ein. Ein Blick auf die Anzeige sagt mir, dass der Akku noch zur Hälfte geladen ist. Als mir Barry das Gerät erklärt hat, war der Akku bereits von ihm aufgeladen worden.
Da wir damals jedoch fast den ganzen Abend benötigten, bis mir Barry jedes noch so unwichtige Detail der modernen Technik erklärt hatte, war natürlich nicht mehr viel Ladung vorhanden. Doch es sollte reichen, um einen Film anschauen zu können.
Es dauert einen Moment, bis ich die richtigen Knöpfe gefunden habe. Ich war noch nie ein Meister der Technik. Doch dann erscheint auf wunderliche Weise der Titelbildschirm mit dem Auswahlmenü der DVD. Ich drücke auf »Film starten«, ziehe meine Hausschuhe aus und klettere zu Sarah ins Bett.
Als ich die Decke anhebe, schlägt mir der Geruch von Schweiß und Essig entgegen. Ich frage mich, ob so der Tod riecht.
Auf den Unterarm abgestützt sehe ich ihr ins Gesicht und streichele sanft über die raue Haut ihrer Wange. Sie zuckt kaum merklich zusammen, und der Gedanke, dass sie meine Berührung gespürt hat, erfüllt mich mit Stolz und einer Hoffnung, die ich im Grunde nicht mehr besitze. Mir ist bewusst, dass diese Hoffnung ein Placebo ist, doch sie gefällt mir, und ist alles, woran ich mich noch klammern kann.
»Schatz, ich habe Humphrey mitgebracht«, sage ich leise.
Damals, wenn wir den Film auf dem altertümlichen Videogerät anschauten, das Barry so gern als »unterirdisch« bezeichnete, habe ich den Film immer mit diesen Worten angekündigt, wenn ich die Kassette aus dem Regal zog. Ihre Antwort darauf lautete immer: »Ich hoffe, Ingrid ist auch mitgekommen.«
Ein geliebtes, vermisstes Ritual.
Diesmal bleibt Sarahs Antwort aus. Sie schweigt und träumt ihren unbekannten Traum.
Ich schiebe meinen Arm so weit unter ihren leichten Körper, bis ihr Kopf auf meiner Schulter ruht. Ein saurer Geruch steigt von ihren Haaren auf.
Dann lehne ich mich mit dem Kopf gegen das Holzende des Bettes, klemme ein Kissen unter die Schultern und betrachte den kleinen Bildschirm von Barrys Geschenk, während meine Finger zärtlich durch Sarahs zerzaustes Haar streichen.
Jedes Wort und jeder einzelne Ton der Filmmusik wirken wie ein Dolchstoß in meinem Herzen. Ich spüre, wie die erbarmungslose Erinnerung an bessere Tage in mir aufzusteigen versucht. Zeiten, in denen ich den Film nicht allein angeschaut habe.
Ich versuche, mich auf den Film zu konzentrieren und die Dialoge in Gedanken mitzusprechen. Dabei streichen meine Hände ohne Unterlass durch Sarahs wirres, strähniges Haar, so wie damals, wenn sie ihren Kopf gegen meine Schulter lehnte. Wie oft haben wir Humphrey an kalten Winterabenden zugehört, während der Tee dampfend neben uns gestanden und das Feuer im Kamin die passende Begleitmusik geliefert hat.
Ihr Atem geht ruhig. Die Brust hebt sich gleichmäßig. Selbst diese Dinge erinnern mich an die längst vergessenen Abende, auch wenn ihr Atem diesmal nicht aus purem Wohlbefinden so gelassen ist.
Ich frage mich, wie es Barry geht.
Seit er uns das DVD-Gerät geschenkt hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Wir haben zweimal miteinander telefoniert und vereinbarten, dass er uns zu Weihnachten besuchen kommt. Doch ich glaube, daraus wird nichts mehr. Er hat sich, seit die Welt still geworden ist, nicht mehr gemeldet. Wie sollte er auch? Das Telefon funktioniert nicht mehr. Und Post bekomme ich natürlich auch keine mehr, egal, wie sehr ich meine Zeitungen und Daryll mit seinem verdammten Fahrrad vermisse.
Barry arbeitet als Hubschrauberpilot für ein städtisches Hospital in Boston. Ich bin stets stolz auf ihn gewesen, dass er sich einen solch wichtigen und gut dotierten Job ausgesucht hat, der ihm obendrauf noch Spaß macht. Die Fliegerei hatte ihn schon als kleinen Jungen fasziniert.
Jetzt hege ich plötzlich die Hoffnung, dass eben dieser Job Barry vielleicht das Leben gerettet haben könnte.
Eventuell hat er es ja geschafft, sich und Shelley, sowie meine Enkelin Demi, in die Luft zu retten und irgendwohin zu fliegen, wo die Welt vielleicht noch in Ordnung ist. Die Vorstellung von Barry und
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