Graues Land (German Edition)
wieder zurück zielend, steige ich die Treppe hinunter. Stufe für Stufe. Mein Herz rast. Das Knarren der mittleren Stufe hätte mich fast zum Schreien gebracht. Nur mit Mühe schaffe ich es, nicht wahllos ins Dunkel des Erdgeschosses zu feuern.
Mehrere Minuten verharre ich bewegungslos auf den Stufen, versuche mit dem Zwielicht zu verschmelzen. Niemand soll mich sehen.
Aber können sie meine Angst nicht riechen? Ich stinke danach, als wäre ich in einen Sumpf gefallen.
Zögernd gehe ich weiter.
Das Schweigen der Dämmerung am Fuße der Treppe scheint mich zu verhöhnen. Schon bilde ich mir ein, flüsternde Stimmen aus den Ecken zu hören.
Ruft da jemand meinen Namen?
Etwas ...?
Mein Körper wird von kaltem Schweiß eingehüllt, der meine Furcht schürt und mich aufstöhnen lässt. Meine Beine, die Stufe um Stufe hinabsteigen in eine fremde, bedrohliche Wohnung, sind nicht mehr die meinen. Doch so sehr ich mich danach sehne, zurück ins Schlafzimmer zu laufen, die Tür hinter mir zu verbarrikadieren und mich zusammen mit Sarah unter ihrer nach Tod stinkenden Decke zu verkriechen; ich darf mich nicht zum Sklaven meiner Furcht machen.
Es ist noch nicht dunkel!
Das, was da gegen die Küchentür geprallt ist, kann unmöglich eines der Wesen gewesen sein, die ich als Shoggothen bezeichne. Vielleicht hat der Wind einen besonders großen Ast gegen das Haus geschleudert. Oder etwas, das auf der Veranda stand, ist umgefallen.
Der Gedanke gefällt mir, doch im nächsten Moment fragt mich mein überreizter Verstand voller Panik, von welchem Wind ich spreche.
Ich weiß, dass man selbst auffrischenden Wind um den Dachfirst heulen hören kann. Wie oft habe ich an strengen Winterabenden im Bett gelegen und dem brutalen Lied gelauscht, welches über das Haus hinweggezogen war. Ich liebte stets solche Augenblicke, die mir die Behaglichkeit unseres Hauses erst so richtig nahe gebracht haben.
Doch an diesem Nachmittag habe ich kein Heulen gehört, keinen Wind. Trotzdem halte ich an meinen Theorien fest. Sie beruhigen mich und gestatten mir, mich mit dem nötigen Mut in die Küche vorzuarbeiten.
Das Fenster in der Küchentür starrt mir als trübes Quadrat entgegen.
Ich werde die Fenster mit Holz zunageln müssen, sage ich mir und könnte mich gleichzeitig ohrfeigen, dass ich das nicht längst schon getan habe. Nur die Läden zu schließen, würde eventuelle Angreifer nicht davon abhalten, ins Haus zu gelangen.
Nichts bewegt sich vor dem milchig grauen Fenster. Selbst die Schemen eines Busches verharren in völliger Reglosigkeit. Ich bleibe in der Tür stehen, durchsuche die Küche mit meinen Blicken, wobei ich mit der Waffe in jede Ecke ziele. Mein Finger liegt am Abzug. Meine Hand fühlt sich kalt und taub an. Doch die Tür ist verschlossen, das Fenster nicht zerbrochen. Niemand kann sich in die Küche gestohlen haben, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Unzählige weitere Minuten vergehen. Mein Herz droht zu zerspringen, mein Atem geht schnell und schmerzt in der Brust.
Dann lege ich – ohne, dass ich bewusst darüber nachdenke – das Gewehr auf den Küchentisch, werfe einen letzten Blick durch das kleine Glasfenster hinaus in den Garten, und beginne schließlich mit automatisierten Bewegungen Sarahs und mein eigenes Abendessen vorzubereiten. Dabei denke ich nicht darüber nach, was ich tue. Meine Hände besitzen eigenes Leben, sind mir fremd. In Gedanken höre ich unablässig das Krachen gegen die Küchentür.
Es ist noch nicht Nacht, denke ich verzweifelt. Doch mein Mantra kann mich nicht beruhigen.
Als das Abendessen fertig ist, stelle ich alles auf ein Tablett, nehme das Gewehr mit der rechten Hand, steige lautlos die Stufen zum Schlafzimmer hinauf. Dabei lausche ich auf jedes Geräusch, halte den Atem an – und verfluche das Schlagen meines Herzens.
Als ich die Schlafzimmertür erreiche, sie öffne und mit betont langsamen Bewegungen wieder hinter mir schließe, spüre ich, wie ein finsterer Schatten von mir fällt, der sich beharrlich an mir festgeklammert hat. Das Gewehr habe ich mit ins Schlafzimmer genommen.
Während ich Sarah füttere, konzentriere ich mich auf ihr apathisches Gesicht und die schmatzenden Geräusche. Ich will an nichts anderes denken als daran, meine Sarah zu füttern und sie anschließend zu waschen. Ich will nicht daran denken, was vielleicht in diesem Augenblick um das Haus schleicht. Und nicht daran, was vielleicht gerade durch das kleine Fenster der Küchentür stiert.
Ich füttere
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