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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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stelle erleichtert fest, dass sie noch immer verschlossen ist. Dennoch weiche ich nicht von dem Gedanken ab, dass ich die Fenster besser sichern muss. Die Geräusche in der Nacht waren eine deutliche Warnung.
    Als ich den Schlüssel drehe – und mich somit der unwirtlichen Welt da draußen bis auf wenige Zentimeter nähere –, spüre ich, wie die kalte Furcht der Nacht in meine Glieder zurückgekrochen kommt. Ich öffne die Tür einen kleinen Spalt, weiche zurück, und ziele mit dem Gewehr auf den schmalen Streifen Tageslicht, der auf den abgenutzten Küchenboden fällt.
    In Gedanken gehe ich plötzlich alle Widerlichkeiten durch, die mir in diesem Moment zustoßen könnten.
    Doch alles bleibt ruhig.
    Mit dem Lauf der Waffe stoße ich die Tür vollends auf. Eine unangenehme, feuchte Kälte brandet in das Haus und erinnert mich daran, dass ich lediglich einen Pyjama trage.
    Als ich über die Schwelle trete und die frische, beißende Morgenluft einatme, spüre ich plötzlich, dass ich beobachtet werde. Bewegungsunfähig bleibe ich in der Tür stehen. Meine Augen suchen den verwilderten Garten ab, während ich das Gewehr fest gegen die Hüfte presse. Jenseits des Zaunes, der den Garten von der Wiese und dem Wald trennt, kann ich träge Nebelschwaden aufsteigen sehen. Nirgendwo eine Bewegung. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, ist so stark, dass es auf meiner Haut prickelt.
    Durch das Gras im Garten weht ein kühler Wind, der braune Blätter und den Geruch von verrottetem Fleisch mit sich trägt. Ich mache mir keine Gedanken über den Verwesungsgestank, denn dies würde mich unweigerlich dazu animieren, dass mein Verstand sich in Kreisen zu bewegen beginnt, deren Zentrum einem alles verschlingenden Abgrund gleicht.
    Wenn ich eines in den wenigen Tagen des Niedergangs gelernt habe, dann, dass man nicht alles mit rationalen Gedankengängen hinterfragen kann, ohne am Ende selbst Teil dieser sterbenden Welt zu werden.
    Als ich auf die Veranda trete, sehe ich umgestürzte Tontöpfe und eine Gartenhacke, die auf den Stufen zum Garten liegt. Ich weiß, dass sie neben der Tür gestanden hat. Ebenso die Blumentöpfe, von denen zwei zerbrochen sind. Vielleicht hat derselbe Wind sie umfallen lassen, der auch den Schmutz gegen die Scheibe der Küchentür geweht hatte; so abstrus mir der Gedanke auch erscheint. Verzweifelt versuche ich mich daran festzuhalten, wie ein verängstigtes Kleinkind an den Busen seiner Mutter. Doch dann erblicke ich inmitten der Tonscherben und schwarzer, ausgetrockneter Blumenerde einen kreisrunden Abdruck, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es ist derselbe Abdruck, wie ihn vielleicht ein Pferd im Schlamm hinterlassen würde. Der Abdruck eines Hufes.
    Mit klopfendem Herzen weiche ich in die Küche zurück.
    Plötzlich erscheint mir die unheimliche Stille des Morgens wie das infernalische Schreien einer Bestie. Das Gefühl, von unzähligen Augen aus ihren Verstecken heraus beobachtet zu werden, ist so real, dass es meine Furcht bis ins Unerträgliche steigert.
    Mit dem Fuß trete ich die Tür zu. Das Glas vibriert scheppernd im Rahmen. Mit zitternden Händen drehe ich den Schlüssel.
    Dann kehrt auch in meinen Gedanken Stille ein.
    Ich sinke neben dem Holzofen die Wand hinab und bleibe dort sitzen. Einige Minuten starre ich, schwer atmend, auf das helle Rechteck der Scheibe in der Küchentür. Aus dieser Perspektive erscheint mir der Raum fremd und bedrohlich, der kalte Ofen neben mir wie ein schlafendes Monster.
    Während mein Herz in gefährlichem Tempo meinen bebenden Körper zu versorgen versucht, schließe ich die Augen. Dabei presse ich das Gewehr wie ein Baby fest gegen meine Brust.
    II
    Ich kann nicht sagen, wie lange ich dort auf der Erde gekauert habe, und auch nicht, ob ich eingeschlafen bin. Doch als ich die Augen wieder öffne, spüre ich eine seltsame Ruhe in mir. In den ersten Sekunden fürchte ich mich vor ihr, denn sie scheint mir zu sagen, dass ich nun endgültig den Verstand verloren und den Kampf gegen diese schreckliche Welt aufgegeben habe. Doch dann empfange ich meinen merkwürdigen Frieden als wichtigen Verbündeten gegen alle Ängste, die mich jenseits der Küchentür erwarten würden.
    Ich weiß nicht, welchem Umstand ich diese Gelassenheit zu verdanken habe. Vielleicht liegt es einfach nur an dem Schock, den mir die Entdeckung des Hufabdruckes auf der Veranda verpasst hat; das Wissen, nicht alleine zu sein. Mein Geist scheint eine Art Schutzmechanismus

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