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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Monster.«
    Cindy stößt ein helles, langgezogenes Heulen aus, als würde sie lange angehaltene Luft aus ihren toten Lungen pressen. Der Laut hallt schauerlich durch die Zimmer.
    Ich frage mich unweigerlich, ob dieses Geschöpf überhaupt noch atmet.
    »Ich vergesse«, flüstert Cindy. Ihre Stimme klingt als würde sie mit Wasser gurgeln. »Lass nicht zu, dass ich vergesse ... ein Mensch zu sein ...«
    Ein weiterer Schritt. Ihre Arme heben sich in grausamer Langsamkeit. Der Stoff ihrer Bluse knistert, als würde man eine Kiste über Sand bewegen.
    »Hilf mir ... bitte ... lass mich sterben ...«
    Sie wirft den Kopf mit einem schnellen Ruck zurück und stößt erneut einen hellen, langgezogenen Schrei aus. Schwarze Flüssigkeit, die unmöglich Blut sein kann, beginnt aus ihrer Wunde am Hals zu tropfen.
    Das Jaulen der Kreatur erfüllt die stille Welt wie das Brüllen infernalischen Donners, der über den Himmel rollt. Ich kann förmlich spüren, wie mich die Dunkelheit des Hauses bedrängt und mich unter ihrem kalten Gewicht zu ersticken droht.
    »Du bist tot«, versuche ich das Erzittern der Welt um mich herum durch meinen eigenen Schrei zu bannen. Kalter Schweiß steht auf meiner Stirn und rinnt brennend in die Augen.
    »Ich bin nicht tot ... ich werde zu einer untoten Kreatur ... hilf mir ... Harv ... töte mich ...«
    Cindys Stimme versinkt in einem Würgen. Aus ihrem Mund ergießt sich ein Schwall dickflüssiger Schwärze. Ihre dünnen Finger greifen ekstatisch in die Luft, als könnten sie mich packen.
    Ich beschließe instinktiv, auf diese kleine brüllende Stim-me in meinem Kopf zu hören, die der letzte kümmerliche Rest meines Verstandes sein muss. Ich springe auf die Tür zu, ergreife mit der Hand, in der ich das Gewehr halte, den Türknauf, und lasse die Tür mit einem lauten Krachen ins Schloss fallen, wobei der Gewehrkolben wie das Poltern schwerer Stiefel gegen das Türblatt schlägt.
    Als die Kreatur aus meinem Blickfeld verschwindet, fühle ich mich augenblicklich besser und spüre, wie mich das lähmende Entsetzen, das mich die ganze Zeit über in ihrem Bann gehalten hat, etwas aus seinem eisernen Griff entlässt. Mit vor Panik zitternden Fingern drehe ich den Schlüssel. Von jenseits der Tür glaube ich eine Bewegung zu hören. Als würde sich etwas sehr langsam in diese Richtung bewegen. Schlurfende Schritte nähern sich und scheinen direkt hinter der Tür zu verharren. Unverständliche, gur- gelnde Laute sind zu hören. Mit Schaudern stelle ich fest, dass das Ding weiterhin meinen Namen von sich gibt. Mich trennt nur noch ein altes, mit Blut verkrustetes Türblatt von diesem Ding, das Danny als untot bezeichnet hatte.
    Ohne es wirklich zu wollen, trete ich erneut von der Tür zurück. Dabei starre ich wie gebannt auf den blutverkrusteten Schlüssel. In meinem Kopf entsteht ein schreckliches Bild, wie sich dieser wie von Geisterhand im Schloss dreht. Das metallische Klicken, wenn die Eisenbolzen des Schlosses einer nach dem anderen zurückgeschoben werden, fährt durch meinen Verstand wie ein Schwall eisigen Wassers.
    Doch noch ehe ich das einzig Vernünftige und Logische tun kann, nämlich so schnell es geht aus diesem Haus und zurück in mein eigenes, gesichertes Heim zu fliehen, wird die Stille um mich herum, die mich tagelang tief in ihrem Schoß verborgen gehalten hatte, von ohrenbetäubendem Donner zerfetzt. Die Luft ringsum vibriert, als würde sich ein Schwall heißer Luft durch den Korridor wälzen.
    Ich wirbele herum und lasse den Strahl der Taschenlampe unkoordiniert durch das Dunkel gleiten. Meine Ohren dröhnen, ob des gewaltigen Schlages, und ein feines Pfeifen zeugt davon, dass ich mir das Geräusch nicht bloß eingebildet habe. Ein plötzliches Schwindelgefühl erfasst mich mit höhnischem Gekreisch und droht mir die Beine unter dem zitternden Leib fortzureißen. Dennoch stürme ich auf die Treppe zu, wobei ich mich mit der Schulter immer wieder an der Wand abstützen muss. Der Lichtkegel tanzt in wildem Entzücken vor mir her, während ich die Stufen ins Erdgeschoss hinabsteige. Noch immer hallt der Donner in meinen Ohren wie das Echo eines grässlichen Lachens.
    Mir wird mit einer erschreckenden Nüchternheit bewusst, dass das, was die Stille auf so unsägliche Weise zerfetzt hat, der laute, harte Schuss eines Gewehres gewesen sein muss.
    Dannys Gewehr ...
    Die Erkenntnis trifft mich mit der Wucht eines Faustschlages und lässt mich am Ende der Treppe straucheln. Ich lasse das

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