Graues Land (German Edition)
Gewehr mit einem lauten Poltern fallen und fange meinen unvermeidlichen Sturz am Treppengeländer ab. Über die Decke und die mit Blutschlieren verkrusteten Wände huschen abwechselnd tanzende Schatten und die grellen Lichtpunkte der Taschenlampe. Ich spüre einen heißen Stich in der Kniescheibe, als ich damit unsanft auf die unterste Stufe pralle. Doch ich ziehe mich mit heiserem Stöhnen am Geländer nach oben, greife die Taschenlampe mit beiden Händen und laufe mit stechender Brust auf das schwarze Rechteck der Wohnstubentür zu.
Der scharfe Geruch von Kordit und Blei dringt in den Flur. Darunter die zarte Ahnung von warmem Blut und sterbendem Fleisch.
Ich weiß, was mich erwarten wird.
Doch ich laufe unbeirrt – fast hypnotisch – weiter, bis ich gegen den Türrahmen pralle und ein stechender Schmerz über meine Schulter und den Arm bis zu den Fingerspitzen hinunter läuft. Die Taschenlampe gleitet mir aus den tauben Händen und rollt scheppernd über den Teppich. Mitten in der Bewegung bleibe ich erstarrt stehen und stiere auf das unfassbare Bild, das sich meinen weit aufgerissenen, tränenbenetzten Augen darbietet.
Aus dem stroboskopartigen Muster, das die Lampe an die Wände und Decke wirft, schält sich in grausigem Rhythmus die Gestalt von Danny, der breitbeinig auf der Couch sitzt, den Kolben des Gewehres zwischen den Beinen und den im Lichtschimmer glänzenden Lauf nach oben gerichtet – dorthin, wo Dannys Kopf hätte sein sollen. Doch aus dem blutbesudelten Hemdkragen ragen lediglich nasse Fleischfetzen und Gewebe zwischen seltsam bleichen Knochensplittern hervor. Eine sprudelnde Fontäne leuchtend roten Blutes spritzt aus dem Stumpf des Halses und färbt sein ehemals blaues Hemd in einen grotesken violetten Ton. Mich überkommt der wahnwitzige Gedanke, dass Danny von innen heraus explodiert ist, wie es eine Cartoon-Figur tun würde, die eine Stange Dynamit gefressen hat.
Die Stimme in mir schreit. Ich spüre die Hysterie hinter dem Kreischen und weiß, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ich selbst unweigerlich davon befallen werde.
Mit zitternden Knien bücke ich mich nach der Taschenlampe und halte den Lichtkegel unverständlicherweise genau auf Dannys gemütlich sitzenden Leichnam. Als würde er darauf warten, mit mir ein Bier trinken zu können. Ein Anblick, der mich bis ans Ende meines Lebens verfolgen wird.
Ich muss hier raus, denke ich plötzlich mit logischer Vernunft.
Das Donnern des Gewehres könnte vielleicht einige der Kreaturen aus den Wäldern anlocken. Und Dannys Haus ist alles andere als gesichert.
Als ich mich abwenden will, kapituliert meine Selbstbeherrschung vor dem unausweichlichen Tribut, den die letzten Tage von einem alten Mann einfordern. Mit lautem Krächzen und gebeugtem Rücken übergebe ich mich neben den Türrahmen. Der Gestank vermischt sich mit dem Blut und Fleisch zu einer perfekten Symbiose.
Mit Tränen der Erschöpfung und der Trauer in den Augen drehe ich mich um, als der Schein der Taschenlampe von etwas reflektiert wird, das auf der kleinen Kommode nahe der Eingangstür liegt. Als ich es genauer beleuchte, erkenne ich das metallische Gehäuse eines Mobiltelefons. Ohne weiter darüber nachzudenken, stecke ich das Handy in meine Hosentasche, gehe zur Treppe zurück und nehme mein Gewehr. Das alles tue ich mit einer unnatürlichen, mir fremden Ruhe und Selbstverständlichkeit.
Mir ist bewusst, dass die kleine, dem Tode nahe Stimme in mir, mich lenkt und dirigiert. Mein Verstand scheint zu keiner Handlung mehr fähig. Ich lasse mich von ihr nach vorn treiben, renne aus dem Haus und sauge die frische, kühle Nachmittagsluft tief in meine Lungen. Mein Bein schmerzt von dem Aufprall auf die Treppenstufe und meine Fingerspitzen sind noch immer taub von dem Schlag gegen den Türrahmen. In meinen Augen brennen Tränen und aus meinem Mund sickern unentwegt unartikulierte Laute und Worte, die keinen Sinn ergeben. Die Stimme treibt mich den Sandweg hinunter. Sie schreit mich an und flutet meinen Körper mit eisigem Wasser.
Hinter mir kann ich das helle Quietschen der Fliegengittertür hören. Der Wind hat aufgefrischt und zerrt an meinen Haaren. Mit klammen Fingern fährt er unter meine Kleidung.
Mein Atem geht stoßweise, unterbrochen von der sinnlosen Litanei, die ich zwischen meinen Lippen hervorpresse. Mein Herz droht die viel zu enge und schwache Brust zu durchschlagen. Die Lungen schmerzen, und plötzlich weiß ich, dass ich auf diesem verdammten
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