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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Sandweg zusammenbrechen und ersticken werde. Ich werde eins werden mit dieser unwirtlichen Welt. Ein grauer Mann in einer grauen Welt.
    Doch meine Beine laufen weiter, trotz der heißen Schmerzwellen, die durch mein Knie laufen. Längst schon ist mein Körper erschöpft und ausgelaugt. Doch er greift auf Reserven zurück, von denen ich bislang keine Ahnung hatte.
    Die Stimme schreit.
    Sie keift wie ein hysterisches Weib.
    Lauf!
    Als ich den Motor starte, höre ich es nicht. Steinchen und Dreck prasseln gegen den Unterboden.
    Doch in meinem Verstand bleibt alles still.
    Da ist nur diese Stimme. Das Schreien meines eigenen Verstandes und das Donnern des Schusses aus Dannys Waffe.
    Irgendwann – in diesem fürchterlichen Alptraum – schlage ich die Küchentür hinter mir zu.
    Ich sinke zu Boden ...
    ... und halte mir die Ohren zu.
    Die Schreie sind so schrecklich.

Harv
    I
    An diesem Abend spüre ich die Kälte in meinen Knochen als bestünden sie aus Papier. Ich stehe in der Küche und bereite das Abendessen. Dabei halte ich mich der Verandatür zugewandt und achte auf jedes verdächtige Geräusch, das aus dem Garten zu mir dringt.
    Die kleine quadratische Scheibe in der Tür habe ich von innen mit Holz vernagelt. Zwei Kerzen brennen auf dem Tisch, auf dem ich die Mahlzeiten zubereite. Im Ofen knistert feuchtes Holz.
    Den Generator im Schuppen habe ich nicht anzuwerfen gewagt. Die Euphorie des Morgens, als ich die Fenster verriegelt und unser Haus in eine vermeintlich sichere Festung verwandelt hatte, ist nach den Geschehnissen in Dannys Haus einer eiskalten, lähmenden Furcht gewichen. Auf keinen Fall möchte ich die Kreaturen im Wald durch das Klappern der alten Maschine im Schuppen in die Nähe des Hauses locken.
    Das Bild von dem Ding in Dannys Schlafzimmer, das einmal Cindy gewesen ist, hat sich wie das Abbild eines besonders grässlichen Traumes in meine Gedanken gebrannt. Ihre Worte martern noch immer meine zitternde Seele.
    Doch noch schlimmer ist der Anblick meines toten Freundes. Das Abbild erscheint, sobald ich die Augen schließe. Auch wenn ich nur blinzele, sehe ich in diesen Bruchteilen von Sekunden den zerfetzten Leichnam Dannys, wie er auf der Couch sitzt und darauf wartet, dass sein alter Kumpel Harv mit einem Bier zurückkommt. Selbst der Gestank nach Pulver und Blut scheint die Küche zu schwängern.
    Alles dreht sich in meinem Kopf. Es kommt mir vor, als würde sich die Welt um mich herum ständig verzerren. Manchmal habe ich das Gefühl nach links umzufallen. Dann wieder denke ich, dass ich jederzeit nach hinten gegen die Wand fallen müsste.
    Während ich eine Banane, deren Schale bereits braun ist, in kleine Stücke schneide, wird das Bild der Küche ständig von den toten Augen des Cindy-Dings überblendet, die mir aus der Dunkelheit des Schlafzimmers entgegengestarrten. In meinen Ohren kann ich immer noch das träge Schlurfen von Schritten hören, die sich der Tür nähern, sowie das Rascheln dreckiger, blutverkrusteter Kleidung.
    Ich sehe meinen Händen dabei zu, wie sie die Banane in eine Schale schieben und mit Milch übergießen, deren Haltbarkeit fast abgelaufen ist. Das sind nicht meine Hände. Die Bewegungen erscheinen mir wie in Zeitlupe. Dann lassen sie heißes Wasser aus dem alten Blechtopf vom Ofen in zwei Tassen mit Teebeuteln fließen, greifen nach der mit Blumen verzierten Dose und lassen zwei Zuckerwürfel in die eine Tasse fallen, die meine ist. Während die Finger nach dem kleinen Löffel greifen, um den Zucker zu verrühren, hebt sich mein Blick und heftet sich auf das vernagelte Rechteck, wo sich das Fenster der Verandatür befindet.
    War da ein Geräusch?
    Ich halte inne. Der Geruch frisch aufgebrühten Tees steigt mir in die Nase. Ich kann die Hitze des Wassers an der Hand spüren, die den Löffel hält.
    Ich glaube Cindys Stimme zu hören, die meinen Namen flüstert.
    Alles bleibt ruhig.
    Als ich die beiden Tassen auf das Tablett zu Sarahs Banane und den zwei Brotscheiben stelle, deren Kruste leichte Schimmelränder aufweist, verharre ich kurz in meiner Bewegung und schließe die Augen. Der Geruch, der mir vom Tablett entgegensteigt, erinnert mich an bessere Zeiten. Tage, in denen Sarah im Wohnzimmer vor dem Kamin wartete und wir es uns beide bei unserer traditionellen Tasse Tee gemütlich gemacht hatten.
    Ich versuche das Bild dieser lange vergangenen Tage in mir heraufzubeschwören. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein, dort, wo man all die Schätze des Lebens vergräbt

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