Graues Land (German Edition)
Laden? Den gibt es nicht mehr, Harv.«
Er blickt ins Glas, als sei der Whiskey das Einzige, was ihn noch mit seinem alten Leben verbindet.
»Vor zwei Nächten sind diese Ungeheuer in meinen Laden eingedrungen und haben alles gefressen, was sie finden konnten. Sie haben die Regale verwüstet und versucht, sich Zugang zu meiner Wohnung zu verschaffen. Aber meine Mutter hat bekanntlich ein cleveres Kerlchen geboren. Die Tür zwischen Geschäft und Wohnung hatte ich schon direkt zu Beginn der Katastrophe mit Holz und einer Stahlplatte verkleidet. Da wäre selbst die Armee nicht durchgekommen.« Ein bitteres Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und verwandelt ihn erneut in einen traurigen Clown. »Ich hätte niemals gedacht, dass ich dieser Platte einmal mein Leben verdanken werde. Aber sie hat diese Viecher tatsächlich aufgehalten. Zwei Nächte lang haben sie versucht in die Wohnung einzudringen. Ich weiß nicht, ob sie heute Nacht noch einmal kommen werden.«
Ich blicke Murphy an, und sehe einen alten Mann vor mir stehen. Die Schultern sind schmäler geworden, als ich sie in Erinnerung hatte, und hängen kraftlos nach unten. Sein griesgrämiges Gesicht ist eingefallen, seine Augen sind farblos. Er steht nach vorn gebeugt, während seine dünnen, langen Finger das Whiskeyglas in den Händen drehen. Ein alter Mann, denke ich erneut, unfähig meinen Blick von der traurigen Erscheinung meines besten Freundes abzuwenden.
Verdammt, was haben wir uns jung gefühlt. Mit unseren Frauen im Arm – unsere Mädchen, wie wir sie immer bezeichneten – waren wir, eitlen Pfauen gleich, durch Devon stolziert und hatten unsinniges Zeug von uns gegeben, wie es normalerweise nur verliebte, dumme Teenager tun. Auf dem jährlichen Volksfest des Städtchens haben wir unsere Mädchen auf Fahrgeschäfte entführt, die eindeutig nicht für Menschen unseres Alters gemacht worden waren, und haben uns die teilweise amüsierten, teilweise entrüsteten Blicke anderer Leute in unserem Alter eingehandelt. Uns war auf den Karussells schlecht geworden. Doch wir haben gelacht und weiter dummes Zeug geredet. Einer hat den anderen aufgezogen und ihn einen alten, gebrechlichen Mann genannt. Und dann haben unsere Mädchen gelacht und sich als alternde Jungfern bezeichnet, die mit ihren jungen Liebhabern um die Häuser zogen. Dann haben wir alle gelacht. Wir waren jung und aufgedreht. Und eine Nacht in Devon war zu kurz für uns vier gewesen. Wo sind diese Zeiten geblieben? Wo ist mein junger Freund von damals hin? Ich sehe Murphy an, der mich vor ein paar Tagen noch über den Haufen schießen wollte, und hätte am liebsten losgeheult. Doch ich wende mich ab und suche Barrys Blick.
»Eigentlich hatte ich meine Hoffnung in Murphys Laden gesetzt«, sage ich und blicke betroffen zu Boden. »Das tut mir Leid mit den Laden, Murphy«, flüstere ich, ohne meinen Freund dabei anzusehen. Mir wird plötzlich schamhaft bewusst, dass er seine gesamte Existenz verloren hat und ich bislang noch nicht einmal ein Wort des Trostes gefunden habe.
Murphy erwidert nichts.
»Wir müssen also nach Devon«, antwortet mir statt seiner Barry. Er tritt zwischen uns und sieht uns einen nach dem anderen an. Dabei breitet er die leeren Hände aus, als hätte er gerade das Offensichtliche ausgesprochen.
»Ich glaube, du hast Recht«, höre ich mich sagen und hätte mir am liebsten die Stimme aus der Kehle gerissen.
Aus den Augenwinkeln heraus kann ich erkennen, dass Murphy kaum merklich nickt.
»Ich hätte ja gesagt, dass wir mit dem Hubschrauber nach Devon fliegen«, fährt Barry fort. »Aber ich fürchte, dass die Maschine zu viel Lärm macht und diese Kreaturen vielleicht aus ihren Verstecken lockt. Außerdem kann ich den Heli im Ernstfall nicht so schnell starten wie einen Wagen.«
Mit diesen Worten blickt Barry zu mir, und mir ist bewusst, auf was er hinaus will.
»Mein alter Pick-up läuft noch«, antworte ich seiner fragenden Geste lachend. Doch klingt es eher wie ein tiefes Seufzen.
»Dann sollten wir keine Zeit verlieren«, sagt Barry.
Er sieht von Murphy zu mir und wieder zurück. Plötzlich ist wieder Leben in die sterbende Hülle meines Sohnes zurückgekehrt. Dennoch schafft er es nicht, mich mit seiner Hoffnung, die ich unverkennbar in seinen Augen finden kann, anzustecken. Wenn ich an Devon denke, sehe ich automatisch Danny vor mir, wie er auf der Couch sitzt und ich seine Waffe nur als schwarzen Schatten im Dunkeln erkennen kann. Ich sehe Cindy im
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