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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Kumpel wirklich und leibhaftig vor mir steht. Das Schicksal hat es in letzter Zeit nicht sonderlich gut mit mir gemeint.
    Doch dann halten wir uns im Arm.
    Wie früher.
    Und keiner spricht ein Wort.
    IV
    Es tut gut, meinen alten Kumpel derart schnell und viel essen zu sehen. Er scheint seit Tagen nichts Richtiges mehr zu beißen bekommen zu haben. Was mich wundert, weiß ich doch, dass in seinem Laden unzählige Konservendosen und getrocknetes Fleisch in den Regalen liegen. Sarah hat Murphys Geschäft oft als `Kreißsaal der Magengeschwüre´ bezeichnet, was mich damals immer zum Lachen brachte. Ich habe meinem Freund nie erzählt, wie meine Sarah den kleinen, rustikalen Verkaufsbereich seiner Blockhütte genannt hat. Aber amüsiert hatte ich mich immer darüber, wenn wir am Abend draußen auf der Veranda gesessen und ein kaltes Bier getrunken hatten und mir Sarahs Wortschöpfung in den Sinn gekommen war.
    Vielleicht weiß Murphy selbst, welch ungesunde Waren er in seinen Regalen lagern hat und lässt deshalb wohlweißlich die Finger davon. Aber auf der anderen Seite, sagt man nicht, in der Not frisst der Teufel Fliegen? Und in der Not sind wir doch alle seit ungefähr zwei Wochen.
    Murphy isst zwei Teller leer und fragt dann mit leiser Stimme, ob er den Rest aus dem Topf auch noch bekommen kann, wenn keiner der anderen etwas dagegen hätte.
    Ich mache ihm den Teller zum dritten Mal voll und betrachte ihn beim Essen mit einer Mischung aus Faszination, Freude und Widerwillen, ob der Essgewohnheiten meines Kumpels. Er kommt mir mehr wie ein ausgehungertes Tier vor. In mir keimt ein Verdacht, was seinen Laden betrifft. Doch ich sage nichts.
    Nach dem Essen bietet Barry ihm etwas von seinem Whiskey an, was er natürlich dankend annimmt.
    Danach beginnt Murphy zu erzählen. Er redet wie ein Wasserfall, während Barry auf der Couch sitzt, den Kopf seiner Tochter wieder auf seinem Oberschenkel, und ich in meinem alten, zerschlissenen Sessel, die Hände auf den Armlehnen liegend. Ich frage mich, wie lange Murphy wohl kein richtiges Gespräch mehr geführt hat. Ich nehme mal an, seit etwa vierzehn Tagen.
    Er redet davon, wie er mit wachsender Besorgnis die Nachrichten in seinem altertümlichen Fernseher verfolgt hatte und er sich damals schon sicher gewesen war, dass all die Ereignisse in der Welt kein gutes Ende nehmen würden. Er hätte einen guten Freund in Cooperstown, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat, und den er nun, da die Stadt nur noch ein rauchendes Trümmerfeld ist, sehr vermisst. Hier verstummt Murphy. Und obwohl ich weiß, dass er mit Sicherheit seit über zwanzig Jahren keinen Gedanken mehr an diesen Bekannten verschwendet hat, empfinde ich ein gewisses Mitleid mit meinem Kumpel.
    Mit leiser Stimme fährt er fort zu berichten, wie er gemerkt hat, dass etwas mit der Welt nicht stimmt. Erst hatte er keinen Radioempfang mehr und wenig später auch kein Fernsehbild. Er bekam keine Zeitung – vermutlich war der junge Darryl auch zu ihm nicht mehr gekommen, nachdem er irgendwo tot aufgewacht war – und es kamen plötzlich auch keine Kunden mehr. Wobei ich mir denke, dass diese letzte Tatsache Murphy am wenigsten hätte auffallen dürfen, denn auch davor hatte er am Tag höchstens zwei oder drei Kunden gehabt, die sich auf der Durchreise durch die Hügel bei ihm mit Snacks oder Süßwaren eindeckten. Die einzigen regelmäßigen Kunden waren seine Freunde und Nachbarn gewesen. Und von denen hatte sich einer den Schädel weggeblasen, während seine Frau in ihrem Schlafzimmer eher einer Toten als einer Lebenden glich.
    Was Murphy aber am meisten erschreckt hatte, war der Umstand, dass er über Telefon absolut niemanden mehr erreichen konnte. Entweder hörte er das Besetztzeichen oder es klingelte ohne Unterlass, ohne dass am anderen Ende der Leitung jemand abgehoben hätte. Selbst mich, seine Schwester in Devon und seinen Arzt hätte er nicht erreichen können.
    Dafür seien in der Nacht diese widerlichen Kreaturen vor seinem Haus aufgetaucht, für die er mich bei meinem letzten Besuch gehalten hatte. Sie seien wie streunende Hunde auf dem Parkplatz und hinten durch den Garten geschlichen und hätten dabei gegrunzt wie Schweine. Gesehen hatte Murphy die Kreaturen nicht wirklich, denn sie seien nur in der Nacht gekommen und schienen mit dunklem Fell bewachsen. Doch ihre Schatten und die behäbige Art, wie sie durch den Garten und über die Veranda geschlichen seien, hätten Murphy das Blut in den Adern gefrieren

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