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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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nachzudenken. Sie starrt auf den Boden. Ich möchte Gott anschreien für das, was er dem Kind angetan hat. Ich möchte ihn fragen, ob er stolz darauf ist, einem kleinen Mädchen die Seele gestohlen zu haben.
    »Ich denke, Großmutter ist die Glücklichste von uns allen«, reißt mich Demi aus meinem Zorn. Gleichzeitig spüre ich etwas Kaltes in meiner Hand.
    Als ich hinabblicke, sehe ich, dass sie meine Hand mit ihren kleinen, schlanken Fingern ergriffen hat. Mit einem Lächeln lege ich meine freie Hand auf ihre und umschließe so ihre bleichen Finger, die mir kälter als Eis erscheinen.
    »Du hast Recht«, flüstere ich und sehe dabei Sarah an. »Großmutter ist glücklich dort, wo sie ist.«
    Demis Gedanken und Worte sind schlicht und voller kindlicher Unschuld. Und doch bewirken sie, dass ich mich plötzlich besser fühle. In all den Tagen zuvor habe ich Sarahs Zustand nie so gesehen, wie es Demi gerade getan hat. Ihre Großmutter weiß nicht, was mit der Welt geschehen ist. Sie hört nicht das Heulen der Ungeheuer vor dem Haus. Und sie hört auch nicht, wie sie mit ihren Pranken gegen die Verandatür schlagen. Aber vor allem sieht sie nicht, was aus mir geworden ist. Dass sich ihr junger Liebhaber, der sie so oft zusammen mit Murphy und Audrey nach Devon entführt und wie ein verliebter Narr drauflos geplappert hat, in einen alten, traurigen Mann verwandelt hat, der sich von Tag zu Tag mehr nach dem Tod sehnt.
    Demi hat Recht. Sarah ist die Beneidenswerteste von uns allen. Vielleicht der glücklichste Mensch auf der Welt. Die Welt hat sich weitergedreht. Aber nicht für meine Sarah. Nicht für mein Mädchen.
    »Daddy hat gesagt, dass wir nach Devon fahren.«
    Ich sehe Demi an. Und die nackte Angst, die ich in ihrem Blick finde, lässt mich das berauschende Gefühl vergessen, dass es Sarah gut geht.
    »Dein Daddy und ich fahren nach Devon«, antworte ich ihr und streiche ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Selbst ihre Wangen fühlen sich kalt an. »Du bleibst mit Onkel Murphy hier und passt auf Großmutter auf.«
    Die Anspannung weicht fast augenblicklich von ihrem Körper. Doch die Furcht und dieser unheimliche Ernst eines Erwachsenen verharren standhaft in ihren Augen.
    »Ihr müsst vor der Dunkelheit zurück sein«, flüstert sie. Ihre einst strahlenden Augen gleichen erloschenen Kohlestücken.
    »Ich weiß, Kleines. Wir werden nur etwas zu Essen und einige Medikamente holen. Und noch bevor es Abend wird, sind dein Daddy und ich wieder zurück.«
    »In der Nacht kommen diese ... Dinger aus ihren Verstecken«, sagt Demi mit schleppender Stimme. Ihre Brust beginnt sich in rascher Folge zu heben. »Sie nehmen sich die Toten, weißt du. Ich habe es von meinem Zimmer im Krankenhaus aus gesehen.«
    Tränen steigen ihr in die Augen. Ich weiß genau, dass sie in diesem Moment an ihre Mutter denkt.
    »Du darfst nicht an Boston zurückdenken.«
    Sanft ziehe ich meine Kleine zu mir heran. Als sie sich in meinen Arm schmiegt, erfasst mich ihre Kälte, als stünde ich mitten im Winter in kniehohem Schnee.
    »Hier geschieht dir nichts. Das Haus ist sicher. Und in den Hügeln ...«
    ... gibt es nicht so viele Monster , will ich sagen. Doch ich verstumme und streichele Demi über den Kopf. Sie beginnt zu schluchzen. Ihre Schultern zucken. Dann fängt sie an zu weinen und krallt ihre kleinen Hände schmerzhaft in meine Oberarme.
    Es tut gut, meine Kleine weinen zu sehen. Plötzlich ist sie wieder ein Kind, mit den Ängsten eines Kindes und den Gedanken eines Kindes.
    Für einige Augenblicke ist sie wieder mein »Dreikäsehoch« .
    Ich halte sie fest an mich geschmiegt, während ich über ihren Kopf hinweg Sarahs schlafendes Gesicht betrachte.
    Wann hat wohl jemand zuletzt das Kind in den Armen gehalten? Barry auf dem Flug hierher? Oder war es ihre Mutter gewesen, als die Welt für Demi noch nicht vollends auseinandergebrochen war?
    Ich schließe die Augen und genieße die Berührung mit meiner Enkelin. Ihr Körper bewegt sich krampfhaft und zuckend in meinen Armen. Ihr Haar riecht nach Schweiß und noch ein klein wenig nach Apfel.
    »Ich werde wieder zu Daddy gehen«, haucht sie schließlich und löst sich aus meiner Umarmung. Ich will sie nicht loslassen. Deshalb greife ich nach ihrer Hand und lasse sie wieder zwischen meinen verschwinden.
    »Daddy hat mir das Schießen beigebracht«, sagt sie mit belegter Stimme und wischt sich dabei mit dem Handrücken über die Nase. Noch immer stehen Tränen in ihren Augen.
    »Ich

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