Graues Land (German Edition)
weiß«, antworte ich nur, da ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden kann.
»Dann weißt du von der Pistole, die Daddy für mich im Hubschrauber liegen hat?«
Ich nicke nur und drücke die Hand des Mädchens unmerklich fester.
»Er sagt, es sei nur zu meinem Besten.« Plötzlich stiehlt sich ein kleiner Funken Leben in ihre Augen. »Damit kann ich Großmutter noch besser beschützen, wenn ihr in Devon seid.«
»Du hast Recht«, erwidere ich mit einem bitteren Kloß im Hals. »Was soll dann noch passieren?«
Über Demis Gesicht huscht ein Lächeln. Der Gedanke, dass ich mit meiner zwölfjährigen Enkelin über Waffen rede und ich in ihrem Lächeln einen gewissen Stolz erkenne, beweist mir einmal mehr, in welcher Hoffnungslosigkeit diese neue Welt zu versinken droht.
»Tust du mir einen Gefallen?«
Demi tritt nahe vor mich und sieht mich mit dem typischen Augenaufschlag von Mädchen an, mit dem sie mich schon als kleines Kind um den Finger wickeln konnte.
»Was immer du willst«, antworte ich und beuge mich in vertrauter Manier zu ihr nach vorn. Ich spüre einen Stich in der Nierengegend, doch ich lasse mir nichts anmerken.
»Wenn du in Devon bist, kannst du mir etwas zu lesen mitbringen? Du weißt ja, was ich gerne mag.«
Ich senke meine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern.
»Natürlich weiß ich das. Karl May und alles, was mit Indianern zu tun hat.«
Demis Augen beginnen für einen kurzen Moment zu strahlen. Es ist, als ginge in ihrer eigenen kleinen Welt in ihrem Innern eine Sonne auf, die das Dunkel der realen Welt mit Leichtigkeit zu bannen vermag.
»Ist versprochen«, fahre ich fort und streichele über die kalte Wange des Mädchens. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Demi nickt ernst. Von einer Sekunde zur nächsten hat sie sich wieder in den ernsten Erwachsenen mit den dunklen Augen verwandelt. Sie wendet sich von mir ab, beugt sich über Sarah und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Schlaf schön, Großmutter«, flüstert sie ihr ins Ohr.
Dann dreht sie sich zu mir um, sieht mich mit diesen schwarzen Kohleaugen an und schenkt mir plötzlich ein kindliches Lächeln, das mich an das Glück der vergangenen Jahre erinnert.
»Danke, Großvater«, sagt sie, nimmt erneut meine Hand und drückt sie kurz. »Wir werden es schaffen.«
Mit diesen Worten steht sie auf, wirft einen letzten Blick auf ihre Großmutter und greift nach ihrem Kerzenhalter. Als sie auf den Flur hinaus geht und die Tür so leise wie möglich hinter sich schließt, wird es dunkler im Zimmer. Und stiller.
Ich starre lange auf den dunklen Schemen der Tür und versuche mir meine Enkelin vorzustellen, wie sie zaghaft durch den dunklen Korridor nach unten zu ihrem Vater geht. Ein zartes Mädchen, das noch nichts vom Ernst des Lebens gewusst hatte und sich dann innerhalb weniger Tage in eine Erwachsene verwandeln musste.
Ich setze mich direkt neben Sarah und betrachte endlos lange ihr Gesicht. Demis Worte hallen wie ein fernes Echo durch meinen Kopf. Vielleicht ist Sarah wirklich der glücklichste Mensch der Welt. Doch je länger ich darüber nachdenke, umso absurder wird mir diese Theorie. Wie kann man glücklich sein, wenn die einzige Welt, in der man sich seit fast zwei Jahren befindet, ihre Farben verloren hat? In Sarahs Welt, tief in ihrem Innern, existiert nur eine unendliche, stille Leere. Keine Blumen, die sich im Wind auf einer weiten Wiese verneigen. Keine Bäume, deren Lied so einschläfernd sein kann. Keine Gerüche, die einen daran erinnern, wie schön die Welt einmal gewesen war. Keine Sonnenuntergänge in den Hügeln, die sie so sehr geliebt hat.
Ich habe oft darüber nachgedacht, was Sarah mit ihren Augen wohl sehen mag. Oder welche Erinnerungen sie von ihrem alten Leben mit in den stillem Sumpf ihrer Seele genommen hat. Meistens fragte ich mich dann, ob sie sich überhaupt noch an mich erinnern kann. Ob sie noch weiß, wie ihr junger Liebhaber ausgesehen hat, wie seine Stimme klang und wie er gerochen hat. Oft hat mir Sarah eine Antwort auf diese quälenden Fragen gegeben. Nämlich dann, wenn sie ihren Kopf in meine Richtung gedreht hatte, wenn ich mit ihr sprach. Oder durch ein simples Stöhnen, wenn ich sie berührte. Dann war ich mir sicher gewesen, dass sie sich meiner erinnert, und dass ich ganz tief in ihrer Stille noch immer an ihrer Seite gehe.
Ich streichele ihr mit dem Finger über die Wange. Ihre Augenlider flackern kurz. Zwischen ihren schmalen Lippen dringt ein kaum hörbares
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