Graues Land (German Edition)
durch meinen Kopf, während ich mich auf den Beifahrersitz des Pick-ups setze. Scheinbar hat meine stumme Stimme Barry das Fahren überlassen.
Auf meinen Beinen spüre ich das beruhigende Gewicht meines Gewehrs, dessen Kammern und Mechanismus ich nochmals überprüft habe. In den Taschen meiner Jacke spüre ich das Gewicht von zusätzlichen Patronen. Barrys Gewehr liegt im Fußraum vor mir, so dass der Kolben wie ein riesiger Schaltknüppel herausragt.
Der Motor meines alten Babys stottert und keucht. Die Karosserie vibriert. Der Lärm ist überwältigend unter dem Mantel einer toten Welt und bringt mich allmählich in die Wirklichkeit zurück. Nach und nach dringen die Geräusche und Gerüche dieser schrecklichen Welt wieder zu mir durch. Und mit ihnen einher kommt eine gewaltige Woge der Angst, die mich wie eine Flutwelle unter sich begräbt.
Meine Finger krallen sich in die Seitenlehne des Sitzes, während Barry den Pick-up langsam über den unebenen Sandweg zur Straße hinauffährt. Der Wagen zittert und schaukelt. Gerade so, als befände ich mich mit Sarah auf einem dieser neumodischen Karussells auf dem Volksfest in Devon.
Ich spüre, wie mir schlecht wird. Mein Blick geht in den Seitenspiegel, während Barry mit verbissenem Gesichtsausdruck durch die fleckige Windschutzscheibe auf den Weg starrt. Seine Kiefermuskeln sind angespannt und die Knöchel seiner Hand treten als weiße Flecken hervor, so fest umklammert er das Lenkrad.
Ich muss mich nach vorn beugen, um etwas im Seitenspiegel erkennen zu können. Hinter uns sehe ich das Haus verschwinden.
Auf der Veranda kann ich Murphy sehen, der mir in diesem Moment wie der billige Abklatsch eines Westernhelden erscheint. Er hält sein Gewehr in Höhe der Hüfte im Anschlag, steht breitbeinig vor der Küchentür und sieht uns mit ernster Miene nach.
Bevor ich in den Wagen gestiegen bin, habe ich ihn in den Arm genommen. Wer weiß, ob ich das jemals wieder tun kann. Ob einer von uns geredet hat, weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich an das Gefühl der Vertrautheit, als ich seinen dürren Körper an meine Brust gedrückt hatte. Umgekehrt wird er sich wahrscheinlich genauso an meinen schlaffen Leib entsinnen.
Vor der Veranda, im hohen Gras unseres ehemaligen Gartens, steht Demi. Sie kommt mir plötzlich so klein und verloren vor. Keine Erwachsene mehr. Einfach ein Kind. Mein »Dreikäsehoch« .
Ihr Haar weht im Wind und in ihrer Hand trägt sie die Pistole, die ihr Barry gegeben hat. Ein Paradoxon.
Der Arm mit der Waffe hängt kraftlos an der Seite herab. Ein entsetzlicher Anblick für einen alten Mann wie mich. Kein Großvater sollte seine kleine Enkelin so sehen.
Sie sieht dem Wagen nach. Durch ihr wehendes Haar sieht sie wild aus. Unwillkürlich werde ich an die Kindersoldaten der afrikanischen Staaten erinnert, von denen oft im Fernsehen die Rede gewesen war. Und doch bin ich mir sicher, könnte ich ihr jetzt in diesem Moment in die Augen sehen, würde ich nichts als Furcht und Schmerz darin finden.
Am liebsten hätte ich Barry angeschrien, dass er den Pick-up anhalten soll. Im Spiegel mit anzusehen, wie mein »Dreikäsehoch« immer kleiner und undeutlicher wird, ist mehr, als ich ertragen kann.
Als Demi nur noch ein farbloser Schatten vor der Silhouette des Hauses ist, schließe ich die Augen und lehne mich in meinem Sitz zurück.
»Pass auf Großmutter auf, Dreikäsehoch«, murmele ich leise.
Ich kann das Rumpeln der Räder über Sand und Steine hören. Das heisere Quietschen der Karosserie und das Knirschen des Getriebes, wenn Barry die Gänge wechselt.
Demi erscheint wie ein Spukgebilde in meinen Gedanken. Ihre zierliche Gestalt, die kleiner und kleiner wird, bis sie hinter mir zurückbleibt. Bis sie aus meinem Leben verschwunden ist.
So sehr ich es auch versuche, ich kann dieses kalte Grauen nicht ausblenden. Keiner von uns spricht ein Wort als der Wagen die Straße erreicht und Barry den Pick-up langsam in Richtung Devon steuert.
Devon
I
Als wir die ersten Häuser erreichen, zerbricht etwas in mir. Vielleicht die letzte Hoffnung, die mein Unterbewusstsein sich zu bewahren versucht hatte. Der letzte Glaube an eine Zukunft.
Ich denke jedoch eher, dass meine Erinnerungen an diese Stadt mit dem Anblick, der sich uns bietet, wie der Nachhall eines Echos aus meinem Kopf verschwinden.
Barry lenkt den Wagen an den Straßenrand und stellt den Motor ab. Das rhythmische Klicken der Blinkanlage ist zu hören. Eine alte Gewohnheit, die Barry
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