Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
bereit, das Spielchen noch eine Weile weiterzutreiben. »Eine gestrenge
Aufseherin darf sich aber nicht an einem Gefangenen vergreifen.« Er spürte,
dass sie genau dies wieder beabsichtigte. Genau wie gestern Abend. Und
eigentlich sollte er sich dagegen sträuben. Er musste schließlich zum Dienst,
während sie an diesem Montag frei hatte.
»Wenn
der Gefangene widerspenstig wird, wird er auch noch mit den Füßen ans Bett
gefesselt«, sagte Nena mit strengem Unterton.
Linkohr
sah instinktiv ans Fußende des Bettes. Auch dort war eine Verzierung aus
stabilem Metall vorhanden, an der sich Handschellen befestigen ließen.
Vermutlich hatte sie das Bett auch nur aus diesem einen Grund gekauft.
»Und
wie lang soll der Gefangene noch gefoltert werden?«, stöhnte er.
»Hm«,
machte sie und hatte mit einer Hand das Ziel ihrer Begierde erreicht. »Ich
plädiere für lebenslänglich.«
Dass in
diesem Moment erneut der schrille Alarmton des Handys herüberdrang, war ihm
jetzt egal. Nena ließ sich ohnehin nicht von dem abhalten, wogegen er sich
eigentlich nicht wirklich sträuben wollte.
68
Häberle war eine Runde über den
taunassen Campingplatz gegangen, den bereits einige Sonnenstrahlen trafen.
Vereinzelt regte sich Leben. Einige wenige Camper waren auf dem Weg zum
Sanitärgebäude und grüßten freundlich. Doch Häberles Hoffnung, die Dame aus dem
GP-Wohnmobil sei auch schon aus ihrem Wagen gestiegen, erfüllte sich nicht.
Entweder hatte sie ihr Motorrad draußen auf dem Parkplatz stehen lassen, oder
sie war noch immer nicht da. Er merkte sich das Kennzeichen, schlenderte zu
seiner Parzelle zurück und atmete die Morgenfrische tief ein. Dann dockte er
den Elektroanschluss ab, legte das Kabel beiseite und verstaute im Inneren des
Fahrzeugs alles, was nicht niet- und nagelfest war, in den Halterungen und
Schränken. Dass dies jedes Mal vor dem Wegfahren notwendig war, erschien ihm
als großer Nachteil eines Wohnmobils. Wer hingegen mit Wohnanhänger unterwegs
war, konnte diesen während des gesamten Aufenthalts stehen lassen und sich mit
dem Auto fortbewegen.
Häberle hatte rasch alle Utensilien weggeräumt und fuhr
aus dem Campingplatz hinaus. Knapp fünf Minuten später war er bei der
Talstation angekommen. Er achtete darauf, nicht auf dem Hubschrauberlandeplatz
zu parken. Dann fütterte er den Parkschein-Automaten und legte die Quittung
hinter die Windschutzscheibe. Mit wenigen Schritten überquerte er die Straße zu
dem erst voriges Jahr angelegten Parkplatz, wo Grantner bereits auf ihn
wartete. Kaum hatten sie sich begrüßt und die jüngsten Erkenntnisse
ausgetauscht, war bereits näherkommendes Hubschraubergeräusch zu vernehmen.
»Unser Lufttaxi«, witzelte Grantner.
Der Helikopter kam durch das Tal aus Richtung Reutte
herangeflogen, verlor rasch an Höhe und setzte sich unter ohrenbetäubendem Lärm
und orkanartigen Luftböen auf die Wiese, die normalerweise den
Gleitschirmfliegern als Landeplatz diente.
Der Copilot sprang aus dem gläsernen Cockpit und lotste
die beiden Kriminalisten unter dem knatternden Rotor zur Maschine. Dort winkten
sie freundschaftlich dem Piloten zu, zwängten sich auf die beiden rückwärtigen
Sitze und stülpten sich die Helme über, an denen Kopfhörer und Mikrofone
angebracht waren. Sie ließen die Gurte einrasten und gaben dem Copiloten, der
inzwischen wieder links vorn Platz genommen hatte, per Handzeichen zu
verstehen, dass alles okay sei. Augenblicke später nahm das Dröhnen und Heulen
der Aggregate zu, und der Helikopter hob, leicht nach vorn geneigt, ab. Der
Pilot begrüßte unterdessen seine Passagiere über die Bordsprechanlage und
erklärte, dass er auf dem direkten Weg zum Vilsalpsee fliegen werde, um
unterwegs Höhe zu gewinnen.
Häberle,
der auf dem linken Rücksitz saß, genoss diesen morgendlichen Flug, der an den
schattigen Steilhängen entlang führte. Er sah den Forstweg, der sich in
Spitzkehren zum Neunerköpfle hinaufschlängelte. Links unter ihm zogen die
bewaldeten Schutt- und Geröllhalden vorbei, die jetzt, noch ohne Sonnenstrahl,
finster und leblos erschienen. Zwischen den dunklen Nadelbäumen schimmerte
gelegentlich frisches Laubgrün herauf.
Wenig
später sah Häberle durch die Cockpitscheibe die ruhige Wasserfläche des
Vilsalpsees, der mit seiner schwarz-blauen Farbe das Talende ausfüllte und bis
direkt an die steil aufragenden Berghänge heranreichte. Das Ausflugslokal, bei
dem die Zufahrtsstraße in den Parkplatz mündet, lag noch verlassen
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