Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
fragte er, während er sie herzlich umarmte.
»Bist
du, ja«, sagte Josefina und bemühte sich, ihren Tiroler Dialekt nicht allzu
heftig durchklingen zu lassen. »Obwohl du raufg’laufen bist, stimmt’s?«
Er
grinste stolz und nickte. »Ein toller Morgen. Und außerdem hab ich die elf Euro
für die Seilbahn gespart.« Er grinste. Als Inhaber einer
Investmentgesellschaft, als der er sich ausgab, wirkte es geradezu grotesk,
wenn er den knausernden Schnäppchenjäger mimte. Doch er spielte diese Rolle
gern – vor allem, wenn er inkognito oder im Freundeskreis unterwegs war.
»Ich
freu mich auf diese Tage«, strahlte die Hüttenbesitzerin, während Jensen seinen
Rucksack an die Holzwand lehnte. Josefina wurde aber sofort ernst »Was mich
wundert, ist, dass Karin noch nicht da ist.« Ihre Stimme klang seltsam verändert.
»Karin?«
Jensen kratzte sich im licht gewordenen, leicht verschwitzten Haar. »Ach so,
ja«, gab er sich desinteressiert. »Ich weiß, sie hatte bisher den Ehrgeiz,
möglichst mit der ersten Gondel raufzukommen.«
Josefina
drehte sich wieder in Richtung des Pfades, als ob sie die Frau mit hypnotischen
Kräften herbeizaubern könnte. »Normalerweise ruft sie an, wenn ihr was
dazwisch’n kommen isch.« Nach kurzer Pause wandte sie sich dem Mann zu, der
sich die schweißnasse Stirn mit einem Papiertaschentuch abwischte. »Habt ihr
denn nicht mehr miteinander telefoniert?«
Jensen
schüttelte langsam den Kopf. »Machen wir uns mal keine Sorgen«, beruhigte er.
»Ich verstau’ schon mal mein Zeug.« Er verschwand in der Hütte und stieg die
Treppe ins Dachgeschoss hoch, wo er mit dem Rucksack eine der Matratzenliegen
an der Stirnseite des Männerraumes reservierte. »Sag’ mal, Josy«, rief er nach
unten und benutzte dabei jene Kurzform ihres Namens, die gleich beim ersten
Treffen entstanden war, »Uwe will erst später kommen. Stimmt das?«
»Ja,
erst am Sonntag. Er hat geschäftlich noch einiges zu erledigen. Ist wie immer
im Stress.«
»Erstaunlich,
dass der das alles vom Wohnwagen aus erledigen kann«, kommentierte Jensen,
während er die Treppe herabstieg.
»Ist
doch toll, wenn man seine Geschäfte vom Campingplatz aus machen kann.«
»Und
man niemandem Rechenschaft abzulegen braucht«, ergänzte Jensen. »Meine Frau
rümpft bereits die Nase, wenn ich zu euch komme.« Er seufzte und legte einen
Arm um Josefinas Schulter.
Beide
sahen sie jetzt zu dem Bergpfad hinauf.
»Da
kommt jemand«, sagte Josefina. Es klang für einen Moment hoffnungsfroh, doch
Augenblicke später spürte sie wieder die bleierne Enttäuschung. »Es ist zwar
eine Frau, aber nicht Karin.«
Jonas Mullinger war nach dem
Schwimmen noch joggen gewesen. Knapp fünf Kilometer vom Campingplatz bis zur
Talstation der Seilbahn und wieder zurück. Jetzt war er noch einmal unter die
Dusche gegangen und hatte sich im engen VW-Bus in die Wanderklamotten gezwängt.
Eigentlich, so musste er sich eingestehen, hätte er auf die morgendliche
Joggingtour verzichten und stattdessen aufs Neunerköpfle hinaufwandern können.
So aber musste er nun zum Parkplatz der Talstation fahren, dort Parkgebühr
entrichten und viel Geld für die Gondelfahrt ausgeben.
Und
jetzt deutete alles darauf hin, dass es mit der Seilbahn einen Unfall gegeben
hatte. Denn beim Näherkommen sah er zuckende Blaulichter und stillstehende
Gondeln. Einsatzkräfte von Polizei und Rotem Kreuz schienen sich auf das
Gebäude der Talstation zu konzentrieren.
Mullinger
bog am Ortsrand von Tannheim links zum Kreisverkehr ab und steuerte den
ausgewiesenen Parkplatz an, auf dem zwei Dutzend Autos standen. Dann ließ er
sich am Automaten gegen bare Münze einen Schein ausdrucken und legte ihn, wie
gefordert, aufs Armaturenbrett.
Er nahm
den Rucksack vom Beifahrersitz, verriegelte den gelben Kleinbus und ging zur
nahen Talstation, wo gerade eine Krankentrage in einen weißen Kastenwagen des
Roten Kreuzes geschoben wurde. Mehrere Dutzend Personen in Wanderkleidung scharten
sich um das Geschehen und nahmen ihm die Sicht. Sekunden später fuhr das
Rettungsfahrzeug mit Blaulicht und Sirene in Richtung Haldensee davon.
Vermutlich nach Reutte, dachte Mullinger.
Er sah
sich um und entdeckte abseits der Treppen, die zum einzigen, heute Früh
geöffneten Ticketschalter hinaufführten, einen Mann, dessen charakteristischer
Schnauzbart ihm sofort ins Auge stach.
Mullinger
zögerte. Er überlegte, ob er an ihm vorbeigehen oder lieber einen weiten,
unauffälligen Bogen um ihn herum
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