Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
und verschwieg deshalb, dass er
die vergangene Nacht im ›Hochsteinhof‹ verbracht und weder Karin noch ihre
Tochter gesehen hatte. Er versuchte deshalb, das Thema zu wechseln und fragte
sachlich: »Was ist mit diesem Studenten, den du uns avisiert hast?« Seine
sonore Stimme hatte immer den Klang, als erkundige er sich nach den aktuellen
Börsenkursen.
Josefina
drehte sich langsam um. »Wie Studenten halt so sind! Irgendwann zwischen zehn
und zwölf will er da sein, hat er g’mailt.«
»Und
Fischer – mein alter Freund Robert? Der kneift wohl auch?«
Josefina
nervten diese überflüssigen Fragen. »Er mag diesmal nicht«, erwiderte sie
leise. »Will lieber auf dem Campingplatz faulenzen.«
»Schwächelt
der, oder was?« Jensens Stimme verriet Unsicherheit. »Jetzt isser noch nicht
mal 70 und fit wie ein Turnschuh, aber hängt nur mit seiner Renate im Wohnwagen
rum. Lässt sie ihn nicht gehen?«
Die
beiden Frauen ignorierten diese Bemerkung. Ihr Interesse galt einer Person, die
sich in der Ferne auf dem schmalen Pfad abzeichnete.
»Guck
mal, ein junger Mann«, sagte Aleen. »Ob das unser Student ist?« Sie blickte ihm
mit verschränkten Armen entgegen. »Weißt du denn, wie alt er ist?«, wandte sie
sich an Josefina.
»Student
halt«, kam es gereizt zurück. »Zwischen 20 und 25, denk ich.«
Jensen
räusperte sich im Hintergrund. »Ein bisschen zu jung für dich, würd ich sagen.«
Aleen
konnte nicht sehen, dass er hämisch grinste. Sie hatte seine Bemerkung als
völlig unpassend empfunden. »Was Männer wie selbstverständlich für sich in
Anspruch nehmen, gilt bei uns Frauen als völlig unschicklich.« Sie drehte sich
genervt zu ihm um. »Mein lieber Dirk, falls da irgendwelche Unklarheiten über
den Zweck unseres Aufenthalts hier bestehen sollten, möchte ich dich an die
Themen erinnern, die uns Josefina vorgeschlagen hat.«
»Entschuldige
bitte«, hob Jensen beschwichtigend die Arme, »das war doch nur eine alberne
Bemerkung. Ich kann doch nicht ahnen, dass du so gereizt bist.« Er verzog sein
Gesicht zu einem gequälten Lächeln, entschied aber, keine weitere Bemerkung zu
machen.
Die
beiden Damen konzentrierten sich ohnehin auf den Ankömmling, der sich mit einem
sympathischen Lächeln und einem schüchternen »Hallo« näherte. »So wie’s
aussieht, bin ich hier richtig.«
»Du bist der Jonas, stimmt’s?« Josefina schüttelte ihm
die Hand und stellte sich und die beiden anderen vor. Er entsprach genau dem
Foto, das er allen per E-Mail geschickt hatte. »Entschuldigt, wenn ich ein
bisschen später komm’, aber es hat mit der Seilbahn ein Problem gegeben.«
Während Mullinger seinen Rucksack ablegte, war für ein paar Sekunden nur noch
das Zwitschern einiger Vögel zu hören.
Josefina
und Aleen sahen sich erschrocken an. Auch Jensen hielt es für angebracht, auf
weitere ironische Bemerkungen zu verzichten.
»Problem?«,
griff Josefina den Hinweis des Studenten auf. »Was denn für ein Problem?«
»Einer
Frau ist es wohl in der Gondel schlecht geworden. Deshalb hat man die Anlage
abgeschaltet.«
»Einer Frau?«, hakte Josefina nach und sah sich erneut
Hilfe suchend um. »Hast du sie gesehen?«
»Nicht wirklich.« Er bemerkte, dass seine Worte einen
merkwürdigen Stimmungswandel ausgelöst hatten. »Man hat sie gerade in den
Rettungswagen gebracht, als ich gekommen bin.« Er sah die drei anderen
nacheinander fragend an. »Ist denn was passiert?«
Es vergingen wieder einige Sekunden, bis Josefina
schilderte, was sie inzwischen alle bedrückte: »Karin Waghäusl ist längst
überfällig. Du weißt, wer das ist?« Josefina wartete die Antwort nicht ab,
sondern erklärte: »Ich hab’s dir im E-Mail g’schrieb’n. Die Witwe von diesem
Flugzeugabsturz.«
Schweigen. Mullinger war verunsichert. Seine erste
Begegnung mit den Menschen, die er zwar duzte, aber nur durch E-Mails und
einige Telefongespräche kannte, hatte er sich anders vorgestellt. Er fühlte
sich plötzlich völlig deplatziert, was Jensen bemerkte und deshalb die
Initiative ergriff, ihm die Hütte zu zeigen. »Das wird sich alles klären«,
beruhigte er den jungen Mann mit gedämpfter Stimme, als sie im dunklen Vorraum
standen, wo die Treppe zu den Schlafräumen hinaufführte. »Frauen neigen
manchmal dazu, gleich mit dem Schlimmsten zu rechnen und alles zu
dramatisieren.«
Mullinger blieb vor der Treppe stehen. Ihm kamen einige
E-Mails in den Sinn, die Karin ihm geschrieben hatte. »Aber Frau Waghäusl – ich mein’: Karin,
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