Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
die glaubt doch wirklich, von bösen
Ahnungen getrieben zu werden.«
»So?
Tut sie das?«, erwiderte Jensen distanziert. »Dann weißt du mehr als ich.«
Mullinger
sah im Halbdunkel des kleinen Vorraumes nur die Umrisse seines Gegenübers. Er
wusste nicht so recht, was er in dieser Situation sagen sollte. »Wie gesagt,
ich kenn’ Karin genau so wenig, wie euch alle«, sagte er und ärgerte sich, dass
es wie eine Entschuldigung klang.
»Du
kannst deinen Rucksack da oben ablegen«, wechselte Jensen das Thema und deutete
die Treppe hinauf. »Rechts die Männer, links die Damen. Stell ihn einfach auf
ein freies Matratzenlager drauf.«
Mullinger
schnappte sich seinen Rucksack und stieg die knarrenden Stufen hoch. »Was hat
Karin denn über ihre Vorahnung geschrieben?«, hörte er hinter sich die Stimme
Jensens, der ihm nach oben gefolgt war.
Mullinger verlangsamte seine Tritte. »Naja«, sagte er
und überlegte, wie viel er offenbaren durfte. »Karin hat seit dem Tod ihres
Mannes tiefe Ängste und auch tiefes Misstrauen.«
»Misstrauen?«,
kam es von hinten dumpf zurück, während er den Dachboden erklommen hatte, wo
ein schmaler Sonnenstrahl durch ein kleines Giebelfenster fiel und ihm
Orientierung bot. Er stand in einem kleinen Vorraum, in dem es zu beiden Seiten
jeweils eine angelehnte Tür gab. Dem Hinweis Jensens folgend, wandte er sich
nach rechts und musste beim Betreten des dunklen Raumes darauf achten, den Kopf
nicht gegen die Dachschräge zu stoßen. Die vorderste Matratze hatte offenbar
bereits Jensen mit einem Rucksack in Beschlag genommen. Mullinger legte seinen
auf die hinterste Liege und kehrte zur Treppe zurück, wo Jensen gewartet hatte.
»Alles klar bei dir?« Jensens Stimme klang streng. »Alles okay, danke«, gab
Mullinger zurück und folgte Jensen nach unten. »Du sagtest, Karin sei
misstrauisch«, knüpfte Jensen an ihr unterbrochenes Gespräch wieder an. »Gegen
wen und was?«
»Keine
Ahnung«, blieb der Student wortkarg. Er musste schlagartig an den Typen mit dem
Goldkettchen denken, der ihm heute schon zweimal aufgefallen war. Er beschloss,
sich vorläufig zurückzuhalten.
17
Bereits als die
Rettungssanitäter die Frau in der Seilbahn-Gondel reanimieren wollten, hatte so
gut wie keine Hoffnung mehr bestanden. Jetzt, im Bezirkskrankenhaus Reutte,
drunten im Lechtal, wurde es zur traurigen Gewissheit: Die Unbekannte, die
keinerlei persönlichen Papiere, auch keinen Rucksack und keine Handtasche bei
sich getragen hatte, war tot. Vorläufig sah es nach einem Herzstillstand aus.
»Merkwürdig
ist, dass sie nicht mal ein Seilbahn-Ticket in den Jacken- oder Hosentaschen hatte«,
stellte ein Arzt fest, nachdem routinemäßig die Polizei gerufen worden war, um
die Identität der Toten ermitteln lassen zu können.
»Kann
man was zu ihrem Alter sagen?«, wollte der Oberstleutnant des
Bezirkspolizeikommandos Reutte wissen.
»Um die
50, vielleicht auch ein bisschen jünger«, erklärte der Mediziner, der an seinem
Schreibtisch saß und die Ruhe des Beamten bewunderte, der sich am Besuchertisch
Notizen machte.
»Schmuck?«
»Kein
Ring, nein. Auch sonst nichts. Keine Tätowierung, keine Piercings.«
»Dann
wird uns der Zahnbefund weiterhelfen müssen«, brummte der Beamte missmutig, um
dann noch nachzuhaken: »Medizinisch auch nix? Einwandfrei Herzversagen?«
Der
Arzt runzelte die Stirn. »So ganz sicher sind wir uns da noch nicht. Zuerst sah
es nach einer Lungenembolie aus.«
Zum
ersten Mal ließ der altgediente Beamte Interesse erkennen. Er hob den Kopf, der
bisher über seine Vordrucke gebeugt war, und sah den Doktor mit schmalen Augen
an. »Wie darf ich das versteh’n, Herr Doktor?«
»Uns
ist eine winzige Einstichstelle an der Außenseite des linken Schenkels
aufgefallen, die ziemlich frisch zu sein scheint.« Der Arzt wusste um die
Wirkung dieser Worte und beobachtete mit gewisser Genugtuung, wie der Beamte
darauf reagierte.
»Einstichstelle?«
Die behäbige Ruhe war schlagartig gewichen. »Eine Spritze? Drogen?«
Der
Mediziner zuckte mit den Schultern. »Wir sind uns nicht sicher. Die
Laborergebnisse sind uns erst für den Nachmittag avisiert. Nach Lage der Dinge
und ohne dem Herrn Staatsanwalt vorgreifen zu wollen, halte ich eine Autopsie
für geboten.«
Der
Oberstleutnant schluckte. Vermutlich hatte der Mediziner recht. Denn auch die
äußeren Umstände deuteten darauf hin, dass einiges nicht stimmte. Falls die
Frau tatsächlich eine Wanderung unternehmen wollte –
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