Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Vorstellung schwer, allein
Gedanken könnten Räumlichkeiten positiv oder negativ ›aufladen‹.
»Sollen
wir abstimmen, ob wir anrufen?«, fragte Jensen ungeachtet dessen, was Josefina
gesagt hatte. Der Art, wie er seine Worte betonte, war zu entnehmen, dass er
eine Entscheidung verlangte. »Ich bin dafür.«
Die
anderen zögerten. Aleen warf einen schüchternen Blick auf Josefina, nickte dann
aber langsam. Mullinger, der den Vorschlag unterbreitet hatte, signalisierte
ebenfalls seine Zustimmung. Nur Josefina zeigte keinerlei Regung. Sie starrte
auf ihren leer gegessenen Teller.
»Okay«,
zeigte sich Jensen angesichts der Mehrheitsverhältnisse zufrieden. »Hat jemand
ihre Handynummer?«
Josefina
stand wortlos auf, holte von einer hölzernen Ablage ihr kleines Handy und gab
sich offenbar geschlagen. Sie verließ wortlos die Hütte und stieg den steilen
Wiesenhang hinauf wo es eine Stelle mit Funknetz gab. Sie drückte einige Tasten
und nach Sekunden des Wartens, während derer sie angespannt zur Krinnenspitze
hinüberblickte, war eine automatische Ansage zu vernehmen. Josefina nahm das
Gerät vom Ohr und hörte noch die Stimme, die auf englisch wiederholte, was
soeben gesagt worden war: »The person you called is temporarily not … «
Josefina eilte zur Hütte zurück, wo die anderen bereits befürchtet hatten, dass
niemand zu erreichen gewesen war.
»Und
nun?«, fragte Josefina gereizt in die Runde.
Jensen
blieb gelassen: »Das kann vielerlei bedeuten: Dass ihr Akku leer ist, dass sie
sich ebenfalls in einem Funkloch befindet oder dass ihr Handy beschädigt ist.«
»Beschädigt?«,
wiederholte Aleen zaghaft, als zweifle sie an diesen Mutmaßungen.
»Wie
ich sagte: beschädigt«, erwiderte er barsch. »Vielleicht ist das Gerät auf den
Boden gefallen oder es wurde bei einem Unfall zerstört.«
»Seht
ihr«, keifte Josefina dazwischen, »was hat’s uns jetzt gebracht? Doch nur
weitere Ungewissheit.«
»Dann
rufen wir jetzt eben im Hotel ihrer Tochter an«, bestimmte Jensen. Noch während
er sein Smartphone aus der dünnen Wanderjacke herauszog, sah er durch die
Fensterscheibe eine Bewegung vor der Hütte. Er drehte sich näher zur Scheibe
und bemerkte eine Frau, die in roter Wanderkleidung und mit Rucksack über die
Terrasse ging. »Wer ist das denn?« Auch die anderen drehten ihre Köpfe zum
Fenster, wo die Frau inzwischen außer Sichtweite geraten war. Sekunden später
klopfte es deutlich hörbar an der Eingangstür, die sogleich geöffnet wurde.
»Entschuldigung«, drang eine laut rufende Frauenstimme herein. Josefina sprang
auf und schob die nur angelehnte Tür zum Flur vollends auf.
Dort
stand bereits eine Mittvierzigerin, die einen verschwitzten Eindruck machte.
Ihre dunklen, lockigen Haare hingen ihr ins Gesicht und ließen eine randlose
Brille nur erahnen. »Entschuldigen Sie«, wiederholte sie. Es klang
verunsichert. »Ist dies hier noch nicht die Landsberger Hütte?«
Josefina
sah die Frau verständnislos an. »Die Landsberger Hütte?«, echote sie. »Da
müssen’s noch gut zwei Stund’n weitergeh’n. Haben Sie denn keine Karten?«
»Nein,
hab ich leider nicht«, antwortete die Frau schuldbewusst. »Ich muss mich wohl
völlig verlaufen haben.« Jensen erhob sich und eilte in den Flur. »Das hier ist
eine private Almhütte«, kam er Josefina energisch zu Hilfe. Die Fremde sah an
ihm vorbei in den Wohnraum, als interessiere sie sich weniger für die Hütte,
als viel mehr für die Gäste, die sich darin aufhielten. Jensen bemerkte dies,
griff nach der Tür und zog sie zu. Zuvor noch hatte Mullinger für den Bruchteil
einer Sekunde das Gesicht der Frau sehen können. Es kam ihm seltsam bekannt
vor. Doch irgendetwas hinderte ihn daran, aufzustehen und ebenfalls zu ihr
hinauszugehen.
Jensens
Stimme klang dumpf durch die geschlossene Tür: »Einfach wieder zum Weg dort
oben zurückgehen. Dann geht’s links zur Landsberger Hütte. Immer dem Weg
folgen. Ist aber auch gut beschildert.«
»Vielen
Dank«, sagte die Frau, »und entschuldigen Sie bitte die Störung.«
Die
Schritte auf dem Holzboden entfernten sich, die Haustür wurde geöffnet und
wieder ins Schloss gezogen.
»Komischer
Vogel«, meinte Jensen, als er wieder mit Josefina in den Wohnraum zurückkehrte.
»Ist ausgerüstet, als wolle sie den Mount Everest bezwingen, hat aber keine
Ahnung, wie weit es zur Landsberger Hütte ist.«
Die
beiden setzten sich wieder, während Josefina empört anmerkte: »Verrückt, wer
heutzutage alles
Weitere Kostenlose Bücher