Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
konnte in das Bezirkskrankenhaus gefahren, wo
die angeblich unbekannte Tote inzwischen auf Anweisung der Innsbrucker
Staatsanwaltschaft auf die Obduktion vorbereitet wurde. Ein einziger Blick auf
das blasse Gesicht der mit einem weißen Tuch verhüllten Leiche genügte, und in
Larissa brach eine Welt zusammen. Sie schluchzte hemmungslos und ließ sich von
einem Polizeibeamten und einem Arzt in einen Besprechungsraum bringen. Eine
Krankenschwester brachte ihr eine Tasse Kaffee und versuchte, sie zu trösten.
Larissa
saß zusammengesunken am Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt. Ihre langen
schwarzen Haare hingen in Strähnen nach unten und bedeckten das blasse Gesicht.
Der Arzt bedeutete dem Beamten mit einem Kopfnicken, er
solle noch für ein paar Minuten mit weiteren Fragen warten und bat ihn nach
draußen. Dort ließ er die Tür einrasten und deutete auf ein Blatt Papier. »Wir
haben das Ergebnis aus dem Labor. Sauerstoffmangel war die Ursache. Ausgelöst
durch ein Opiat namens Remifentanil. Bereits eine winzige Menge genügt, um die
Atmung im Gehirn auf Null zu stellen. Die Injektion erfolgte durch die dünne
Wanderhose.«
»Oh
Gott«, entfuhr es dem Beamten, der sofort zu seinem Handy griff und seinen Chef
anrief. Wenn die Personalien stimmten, die die junge Frau bereits am Telefon
von ihrer Mutter genannt hatte, dann musste jetzt nicht nur das
Landespolizeikommando Innsbruck verständigt werden, sondern auch die zuständige
Behörde in Deutschland. Irgendwo zwischen Ulm und Stuttgart, hatte es geheißen.
21
Kriminalhauptkommissar
August Häberle war an diesem Freitagnachmittag ein paar Stunden früher vom
Dienst weggegangen und auf der Terrasse der Vereinsgaststätte seiner geliebten
Turnerschaft Göppingen gewesen. Nach zwei Weizenbieren, die er sich zu einem
deftigen Wurstsalat geleistet hatte, ließ er seine Frau Susanne ans Steuer. Sie
waren noch keine hundert Meter gefahren, als das Handy anschlug, das Häberle in
seiner Jeansjacke stecken hatte. Er fingerte danach und erkannte auf dem
Display sofort die Nummer der Dienststelle. Es war sein junger Kollege Mike
Linkohr, der an diesem Abend Bereitschaftsdienst hatte. »Sorry, Chef«, sagte
er, wohl wissend, dass Häberle solche Anglizismen nicht mochte. »Wir haben da
einen Anruf aus Österreich gekriegt. Vom Landeskriminalamt in Innsbruck. Es
geht um eine Sache im Tannheimer Tal – kennen Sie das?«
»Warum soll ich das nicht kennen?«, brummte Häberle, der
immer wieder aufs Neue überrascht war, wie wenig sich junge Kollegen im Umkreis
von 200 Kilometern auskannten.
»Sie haben dort in einer Seilbahn eine Frau tot
aufgefunden. Sie soll aus Drackenstein stammen.«
»Aus Drackenstein«, wiederholte Häberle verwundert. Nie
zuvor hatte er in diesem kleinen Nest zwischen Albhochfläche und einer tief
eingeschnittenen Schlucht einen Fall zu klären gehabt. Dort schien bisher die
Welt in Ordnung zu sein. »Und was geht uns das an?«, wollte er wissen.
»Sie befürchten, dass sie ermordet wurde. Irgendeine
Injektion. Die Frau heißt Waghäusl, Karin Waghäusl. Wohnt allein. Ihre Tochter
ist mit einem Hotelier in Tannheim verheiratet.«
Vor
Häberles geistigem Auge formierte sich diese Landschaft, die er und Susanne ins
Herz geschlossen hatten. »Hm«, machte er und sah auf die Uhr. 18.30 Uhr. »Haben
Sie die Staatsanwaltschaft schon verständigt?«
»Noch
nicht … «
»Dann
tun Sie’s. Wir brauchen einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die
Wohnung. Die Adresse haben Sie?«
»Ja, Am
Hummelberg.«
»Okay,
ich komme.« Häberle beendete das Gespräch und steckte das Handy ein. Seine Frau
sah ihn von der Seite an. Auch ohne Worte wusste sie, dass der restliche Abend
anders verlaufen würde als gedacht. Sie hatte bereits den Weg zur
Polizeidirektion eingeschlagen.
»Ich lass mich dann später heimfahren«, sagte er knapp,
als er vor dem eisernen Tor ausstieg und Susanne einen Kuss auf die Wange
drückte. Er war ihr unendlich dankbar, dass sie seit über 30 Jahren seinen Job
ertrug – auch dann, wenn plötzlich ein Fall die
Zweisamkeit störte.
Er tippte den Zahlencode in das automatische
Öffnungssystem der stabilen Tür, durch die er den asphaltierten Hof der Direktion
betreten konnte.
Wenig später saß er mit Linkohr zusammen, seinem jungen
Kollegen, der einen gestressten Eindruck machte und zwei Tassen starken Kaffee
bereitgestellt hatte. »Es geht heut’ Nachmittag am Stück«, seufzte er. »Ein
Suizid in Uhingen, eine
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