Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
als einen Messias betrachtete.
»Aber
keiner außer dir«, hatte Jensen provokant entgegen gehalten, »kennt sich doch
in unseren Kreisen mit diesen apokalyptischen Prophezeiungen der Bibel so gut
aus.«
Falkenstein
war leicht verstimmt gewesen und nicht mehr bereit, über dieses Thema zu reden.
Er beschloss, die Diskussion auch nicht unnötig anzuheizen. Er wollte ohnehin
bereits am morgigen Sonntag wieder ins Tal zurück gehen. Auch Aleen, die sich
normalerweise sehr stark an theologischen Themen und Theorien interessiert
zeigte, hatte ihre Begeisterung dafür verloren.
Josefina
stieß mit ihrem zaghaften Vorschlag, mit dem Geist der verstorbenen Karin
Kontakt aufzunehmen, auf keinerlei Gegenliebe. »Dazu wäre gewiss unsere
Konzentration heute zu schwach«, wandte Falkenstein ein, der ohnehin von derlei
Experimenten nichts hielt. Und wenn er sich gelegentlich schon daran beteiligt
hatte, dann war es nur die Neugier gewesen, die ihn dazu bewog. Schließlich war
das menschliche Gehirn so komplex und wundersam, dass es sich allemal lohnte,
etwaigen suggestiven Kräften auf die Spur zu kommen. Niemand konnte jedenfalls
bestreiten, dass Sympathie und Antipathie, wie man sie innerhalb eines
Sekundenbruchteils empfand, auch auf mögliche Energiefelder zurückzuführen
waren, über die eine geistige Kommunikation denkbar wäre. Vielleicht sogar
eine, für die die Grenzen, wie sie die Lichtgeschwindigkeit der elektronischen
Telekommunikation setzte, gar nicht galten. Falkenstein war davon überzeugt,
dass zumindest in militärischen Laboratorien längst an dieser Frage
herumexperimentiert wurde. Doch darüber wollten sie zu später Stunde nicht mehr
diskutieren und entschieden, sich in die Schlafräume zurückzuziehen.
Während
Jensen und Falkenstein sehr schnell in einen tiefen Schlummer fielen, lag
Mullinger ein paar Meter von ihnen entfernt noch wach. Er sah in die Finsternis
hinein, in der sich lediglich das Dachfenster mit dem sternenklaren Himmel
abzeichnete. Der junge Mann bemühte sich, regungslos dazuliegen, um die anderen
nicht zu stören. Er war von den Gesprächen und Ereignissen viel zu sehr
aufgewühlt, als dass er jetzt hätte schlafen können. In welche Gesellschaft war
er da geraten? So viele unterschiedliche Charaktere, überlegte er: Josefina,
die als gottesfürchtige Frau vom Leben in dieser Landschaft geprägt war; Aleen,
die ihren Job satthatte und sich eher den elementaren Fragen des Lebens widmen
wollte; Jensen, der so etwas wie das ›realistische Gewissen‹ dieser Gruppe war
und die esoterisch angehauchten Gedankengänge ausbremste; Falkenstein, der eine
Art theologischer Berater war, mit dem man sich über Gott und die Welt
unterhalten konnte. Und dann war da noch dieser Fischer, rief sich Mullinger
ins Gedächtnis – dieser Apotheker, der es vorgezogen hatte, ihn zwar im Hallenbad
und an der Seilbahn zu erschrecken, aber nicht zur Hütte hochzufahren. Außerdem
gab es noch Uwe Astor, der offenbar auf dem Campingplatz hauste und erst am
morgigen Sonntag kommen würde.
Wie
erfrischend war dagegen diese Larissa gewesen. Er hatte allergrößte Mühe
gehabt, sie nicht den halben Tag über anzuhimmeln. Dass sein Traum, sie
möglichst schnell kennenzulernen, so schnell in Erfüllung gehen würde, hätte er
gestern Vormittag, als er sie vom Hallenbad aus über den Campingplatz hatte
gehen sehen, nicht zu hoffen gewagt. Doch nun war sie so plötzlich vor ihm
gestanden – und dies in einer Umgebung, in der er ihr seine Gefühle nicht
offenbaren konnte. Larissa. Ein Traum von einer Frau. Und doch so unendlich
traurig. Natürlich wäre es in dieser Situation völlig unpassend gewesen, einen
Annäherungsversuch zu starten. Aber immerhin hatten sich ihre Blicke einige
Male vielsagend getroffen. Ob er sie jedoch so deuten durfte, wie es seinen
Wunschträumen entsprochen hätte, blieb ihm vorläufig rätselhaft. Larissa war
jedenfalls schuld daran, dass er nicht schlafen konnte. Vor Mullingers Augen
begannen grau-schwarze Ornamente zu tanzen, wie immer, wenn er mit weit offenen
Augen in die Finsternis starrte. Manchmal formten sich diese Schleier sogar zu
Gesichtern – und sie blieben hartnäckig erhalten, selbst dann, wenn er die
Augen schloss. Einbildung, Fantasie – die
Eigendynamik einiger aufgewühlter Synapsen im Gehirn? Oft schon hatte sich
Mullinger auf diese Gesichter konzentriert, die seltsamerweise meist Brillen
trugen. Einmal glaubte er sogar, seine verstorbene Oma erkannt zu haben.
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