Grave Mercy Die Novizin des Todes
sondern für Euch. Er war erfüllt von dem Wunsch, Euch vor einem unangenehmen Schicksal zu retten.«
Die Herzogin blinzelt, dann schaut sie auf den Mann hinunter, der ihr Ehemann geworden wäre. »Ich hatte begonnen, es zu hoffen.« Ihre blassen Wangen erröten. »Es hatte den Anschein, als bedeute ich ihm etwas. Ich habe an ihm ein so durch und durch freundliches Wesen wahrgenommen und hatte das Gefühl, dass ich würde lernen können, ihn zu lieben. Das ist ein großer Segen für jemanden wie mich, der befürchtet hat, dass Liebe keinen Platz in einer Ehe zwischen zwei Ländern haben würde.«
Ich sage nichts. Seit ihrem vierten Lebensjahr hat man sie der Hälfte der Könige und Herzoge Europas förmlich vor die Nase gehalten wie einen Köder an einer Angel. Das Beste, worauf sie hoffen konnte, war eine Ehe auf der Basis von gegenseitigem Respekt und ohne Grausamkeit. Aber dass ihr eine falsche Hand die Möglichkeit aufLiebe entrissen hat …
Sie schaut zu mir auf und wiederholt: »Also, warum seid Ihr hier?« Die Entschlossenheit in ihrem Blick lässt keine Falschheit oder Ausweichmanöver zu.
»Ich habe daran gedacht, seine Seele vom Elend seines Todes zu erlösen.« Ich achte darauf, leise zu sprechen, sodass irgendwelche draußen lauernden Personen es nicht hören werden. »Seelen müssen drei Tage nach ihrem Tod bei ihren Leichen verweilen, bevor sie weiterziehen können. Aber Herzog Nemours’ Seele ist so gepeinigt von dem, was er als sein Versagen ansieht, Euch zu beschützen, dass ich auf die Idee gekommen bin, seinen Weg zur Vergebung zu beschleunigen.«
Die Augen der Herzogin weiten sich. »Das könnt Ihr tun?«
Ich denke es. »Ja.«
Sie nickt. »Dann tut es. Und möge seine Seele in Frieden ruhen.«
»Wie Ihr befehlt.« Ich bin hochzufrieden mit dieser Zustimmung, die sie mir gegeben hat. Weder Duval noch die Äbtissin können mir einen Vorwurf machen, wenn ich auf ihren Befehl hin handele.
»Worauf wartet Ihr?«, flüstert die Herzogin.
Ich sehe in ihre klaren braunen Augen. »Auf Abgeschiedenheit, Euer Hoheit. Die Riten Mortains sind überaus geheim.«
Einwände und Befehle flattern über ihr Gesicht, ihr Verlangen zuzusehen und diese Mysterien kennenzulernen passen nicht zu ihrem Verlangen, die Heiligkeit des Todes zu ehren. »Also gut«, sagt sie schließlich. »Ich werde Euch allein lassen.« Sie greift über den Leichnam hinweg und umfasst mein Handgelenk. »Danke«, flüstert sie. Mit einem letzten Blick auf ihren Verlobten dreht sie sich um und verlässt die Kapelle. »Madame Dinan?«, ruft sie, als sie die Tür erreicht.
Ihre Gouvernante erscheint so schnell, dass ich dankbar dafür bin, dass wir leise gesprochen haben. Die beiden Frauen gehen den Flur entlang, und ihre Stimmen hallen schwach hinter ihnen wider.
Einmal mehr umfasse ich den silbernen Dolchgriff. Mit der anderen Hand ziehe ich Nemours’ Hemdkragen und den Pelzbesatz seines Wamses zur Seite. Es ist besser, wenn diese Narbe verborgen bleibt.
Mit einem kurzen, von Herzen kommenden Gebet an Mortain, meine Hand zu leiten, hebe ich den Dolch und fahre mit der Schneide sachte über Nemours’ Hals.
Ich spüre das Aufkeuchen mehr, als dass ich es höre. Kein Keuchen des Schmerzes oder des Schrecks, sondern der Erlösung.
»Geht in Frieden und mit unseren Gebeten«, wispere ich. Ich nehme einen fächelnden Luftzug wahr, als würde ein Dutzend Tauben an meiner Wange vorbeifliegen, deren bleiche Flügel die Luft mit ihrem freudvollen Flug erfüllen. Beschützt sie, fleht seine Seele mich an, als sie davongeht.
Das werde ich, verspreche ich. Dann ist da nichts mehr als Schweigen, und ich bleibe allein zurück, um den dünnen Schnitt auf seinem toten weißen Fleisch anzuschauen, diesen Schnitt, der nicht blutet. Sorgfältig rücke ich seinen Kragen wieder zurecht.
Einunddreißig
ALS ICH DIE KAPELLE verlasse, zieht es mich zu Nemours’ Räumen, beinahe als würde ich von einer unsichtbaren Hand dort hingezerrt. Ich habe keine Ahnung, warum, aber ein beharrliches Jucken in meinem Nacken treibt mich zur Eile. Vielleicht hat sich mein Gott endlich zum Handeln entschlossen.
Sobald ich vor Nemours’ Zimmern stehe, wird das Jucken in meinem Rücken stärker. Ohne mir die Mühe zu machen anzuklopfen, öffne ich die Tür.
Eine von Nemours’ Wachen steht hinter einem Schreibtisch und wühlt in einer Satteltasche. Der Mann trägt eine lederne Reitmontur und einen Brustpanzer, und er hat seinen Helm unter den Arm geklemmt. Ein
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