Grave Mercy Die Novizin des Todes
kleines schwarzes Mal prangt mitten auf seiner Stirn. Lächelnd schließe ich die Tür hinter mir.
Er zuckt nicht schuldbewusst zusammen, wie er es hätte tun sollen, sondern runzelt verärgert die Stirn. »Wer seid Ihr?«
Ich lasse die Hand durch den Schlitz meines Überrocks gleiten, und meine Finger schließen sich um das harte Holz der Armbrust. »Die Vergeltung«, sage ich weich.
Bei meinen Worten weiten seine Augen sich ein wenig, dann erschrickt er, als ich die Armbrust aus ihrem Versteck ziehe. Binnen eines einzigen Herzschlags spanne ich den Bogen, lege den Bolzen ein und ziele auf seinen Kopf, direkt auf das Mal. Für einen Moment bin ich hin und her gerissen und wäge das Verlangen der Herzogin und Duvals nach Informationen gegen meinen Wunsch ab, mich meinem Gott und meinem Kloster zu beweisen. Ich komme zu dem Schluss, dass es nicht schaden kann zu fragen. »Wer hat Euch dafür bezahlt, Euren Herrn in den Tod zu stoßen?«
Das Gesicht des Mannes erbleicht. »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.«
»Nein? Ich denke, Ihr wisst es durchaus. Ich denke, Ihr seid der Mann, der den Herzog von Nemours verraten hat. Wenn Ihr mir sagt, was ich wissen muss, werde ich Euch so schnell und schmerzlos wie möglich töten. Wenn Ihr es nicht tut, wird Euer Sterben langsam und qualvoll sein. Eure Entscheidung. So oder so, Ihr werdet sterben.« Mir singt das Blut in den Adern, so glücklich bin ich darüber, das Werk meines Gottes zu tun.
Ohne mich aus den Augen zu lassen, kommt der Mann hinter dem Schreibtisch hervor. »Wer sagt, ich hätte Herzog Nemours getötet? Bekomme ich keine Chance, mich zu verteidigen? Keine Chance auf eine Verhandlung und ein Urteil?«
»Das Urteil wurde bereits gefällt«, entgegne ich. »Vom heiligen Mortain selbst. Und Ihr seid für schuldig befunden worden. Also, ich werde Euch ein letztes Mal fragen: Auf wessen Befehl hin habt Ihr ihn gestoßen?«
Ich sehe in seinen Augen den Moment, in dem er sich dazu entschließt, auf mich zuzustürzen. Vor Ärger ächzend lasse ich den Bolzen los. Er fliegt verlässlich und präzise und trifft ihn in der Stirn, genau da, wo Mortain ihn gezeichnet hat. Als er fällt, wandert sein Blick von meinem Gesicht zur Tür hinter mir. Fluchend lasse ich die Armbrust fallen und bücke mich nach dem Messer an meinem Knöchel.
Das rettet mir das Leben.
Ein Lufthauch gleitet über meinen Rücken, gefolgt von sengendem Schmerz, dann drehe ich mich zu meinem Angreifer um und stoße mit meinem Messer zu, bevor ich ihn auch nur gesehen habe.
Ich treffe gut, das Messer bohrt sich in seine Eingeweide. Ich sehe jetzt, dass er ebenfalls eine Wache ist. Seine braunen Augen weiten sich vor Überraschung, dann vor Schmerz, als ich die Klinge nach oben drücke und seinen Tod beschleunige. Trotz meiner Drohung dem anderen Mann gegenüber quäle ich beim Töten nicht.
Bevor ich jedoch mehr tun kann, flieht die Seele des ersten Mannes aus seinem toten Körper. Sie rauscht auf mich zu, kreiselnd von kalter Feindseligkeit. Ich zwinge mich, mich auf die ungezählten Bilder zu konzentrieren, die sie flackernd in meinen Geist sendet, angestrengt darauf bedacht, irgendwelche kleinen Informationen zu finden, die uns verraten werden, wer hinter dieser Katastrophe steckt. Während ich von dieser Aufgabe abgelenkt bin, stürmt die Seele des zweiten Mannes auf mich zu, und ich keuche auf, als hätte man mich in einen eisigen Fluss gestoßen. Ich pralle rückwärts gegen die Wand und zittere so heftig, dass ich kaum stehen kann. Als die Seele der Wache mich überflutet, bin ich erfüllt von Wut und Schmerz und Bedauern. Von einem quälenden Gefühl des Verlustes. Einem Gefühl der Angst, das so stark ist, dass es mit seinem bitteren Geschmack meine Zunge überzieht.
Dann sind sie fort, so schnell wie sie gekommen sind, und ich sacke an der Wand zusammen. Draußen erklingt das schwache, ferne Plärren von Jagdhörnern. Die Jagdgesellschaft ist zurück.
Ich knie mich auf den Boden neben den zweiten Leichnam, gerade lange genug, um mein Messer aus seinem Unterleib zu ziehen und es an seinem Wappenrock sauber zu wischen. Als ich mich erhebe, überrascht mich die kleine Welle des Schwindels, die mich überkommt. Ich drehe mich zur Tür um, dann schaue ich blinzelnd den roten Fleck an, wo ich mich an die Wand gelehnt habe. Ich bin verletzt.
Von dem verzweifelten Wunsch beseelt, von hier fortzukommen, nehme ich einen rauen Wollumhang vom Bett und benutze eine Ecke davon, um die Wand so gut
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