Grave Mercy Die Novizin des Todes
Vergnügungen –, als sei nichts geschehen. Es gibt keinen Grund, warum der Tod eines unangemeldeten Fremden unser Benehmen ändern sollte, und daher sind wir von unserem eigenen Betrug gefesselt und geknebelt. Es ist besser, dass so wenige Personen wie möglich das Ausmaß dieser Katastrophe kennen.
Gehabt Euch wohl
Gavriel
Er hat recht. Niemand außer dem Kronrat und ihm kannte Nemours’ Identität, daher würde es keinen Sinn ergeben, Nemours irgendwelche speziellen Ehren zu erweisen. Aber indem wir ihm diese verweigern, vergrößern wir unsere tiefe Schuld gegenüber diesem Mann.
Ich gehe zum Bett und hole den heiligen Dolch mit dem silbernen Griff unter meiner Matratze hervor. Die ehrwürdige Mutter hat ihn mir aus einem bestimmten Grund gegeben. Vielleicht ist die Erleichterung von Nemours’ Seele genau das, wozu die Reliquie benutzt werden sollte. Ich weiß nicht, ob es eine Laune von mir ist oder irgendein höheres Ziel des Gottes, aber es drängt mich, Nemours wenigstens ein wenig Barmherzigkeit zu erweisen.
Sobald ich die Reliquie an ihrem gewohnten Platz an meiner Taille befestigt habe, beginnt sich in meinem Geist ein Plan zu bilden. Ich gehe zu meinem kleinen Koffer, schließe ihn auf und nehme einen langen, dünnen Dolch heraus. Diesen schiebe ich in eine geschmeidige Lederscheide und befestige sie an meinem Knöchel. Anschließend lasse ich den schlichteren Armreif mit einem Würgedraht über mein Handgelenk gleiten. Zu guter Letzt nehme ich die kleine Armbrust heraus und dazu drei der Bolzen. Der Bogen ist dazu gedacht, an einer dünnen Kette an meiner Taille zu hängen, unter meinem Überrock. Wenn sich jemand dicht an mich drängen würde, könnte er die Armbrust spüren, aber sonst ist sie nicht wahrzunehmen.
Ich erwarte nicht, dass man mich im Palast befragen wird, aber ich habe mir trotzdem eine Ausrede zurechtgelegt. Ich trage eine kleine Opfergabe bei mir, die ich in der Kapelle auf dem Altar der heiligen Arduinna hinlegen will, mit der Bitte, dass sie die heutige Jagd mit Wohlwollen bedenken möge.
Die Burg ist fast verlassen, da alle Edelleute aufgebrochen sind, um Hirsche oder Wildschweine zu jagen, oder was immer es ist, dem sie heute nachstellen wollen. Die Diener und Gefolgsleute gehen emsig ihren Aufgaben nach, zweifellos erleichtert, nicht nach der Pfeife so vieler Edelleute und Höflinge tanzen zu müssen.
Ich halte einen Moment inne und frage mich, wo Nemours’ Leichnam sein mag. Bei der Erinnerung an die seltsame, unbeirrte Art, wie ich Martels Grab gefunden habe, sende ich meine Sinne aus und suche nach Tod.
Es ist schwieriger hier, wo so viele Lebensfunken geschäftig flackern, aber trotzdem zieht der Tod mich an wie das Licht die Motten. Während ich seiner Spur folge, begreife ich schnell, dass der Weg zu der kleinen Kapelle führt, wo Anne und Nemours sich das erste Mal begegnet sind.
Die Kapelle ist verlassen, und ich gehe zur Bahre hinüber; die Verzweiflung der Seele leitet meine Schritte sicherer als die kleinen zuckenden Kerzen im Mittelschiff. Als ich den Leichnam erreiche, scheint die Seele mich zu erkennen und eilt auf die Vertrautheit und das Leben zu, die ich zu bieten habe.
Ich öffne mich ihr, lasse sie sich an mir wärmen, überrascht, als sie aufwirbelt und sich in mir niederlässt wie ein mutloser Jagdhund, der nirgendwo sonst eine Fährte verfolgen kann.
Wir sitzen für eine Weile beieinander, diese Seele und ich. Als ich mir sicher bin, dass keine verirrten Trauernden oder triumphierenden Spötter erscheinen werden, um bei diesem rätselhaften Leichnam zu beten, gestatte ich mir, meinen Geist zur Gänze in Nemours’ Seele auszusenden.
Ich habe die Mittel mitgebracht, Euch sofort mit Eurem Gott zu vereinen, wenn dies Euer Wunsch ist.
Als sich die Seele bei meinen Worten hoffnungsvoll regt, erhebe ich mich und trete dichter an die Bahre heran. Der arme, verdrehte Leib ist gerichtet worden, aber die Grimasse des Schocks steht noch immer auf Nemours’ Gesicht. Ich schiebe die Hand durch den Schlitz meines Gewandes und schließe die Finger um den Griff der Reliquie. Meine Hoffnung, meine kleine flehentliche Bitte an Mortain ist, dass Nemours’ Seele, wenn ich diesen Dolch auf sein Fleisch lege, unverzüglich wird aufbrechen können.
Bevor ich den Dolch aus seinem Versteck ziehen kann, erstarre ich, weil ich hinter mir ein Schaben auf dem Stein höre. »Was für eine interessante Überraschung.« Graf d ’ Albrets tiefe, schnarrende Stimme
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