Grave Mercy Die Novizin des Todes
ich mit ihm für unsere Herzogin arbeiten? Und was ist mit Liebe? Ist es eine Sünde gegen unseren Gott, jemanden zu lieben? Gewiss nicht, denn de Lornay zufolge gab es eine Art Liebe zwischen ihm und jemandem aus dem Kloster.
Oder war es lediglich Lust? Ich vermute, dass das Kloster nichts dagegen hat, wenn wir uns einen Geliebten nehmen, denn die Schwestern haben viel Zeit damit verbracht, uns in dieser Kunst zu unterweisen, und zweifellos wünschen sie, dass wir uns darin üben. Aber sich zu verlieben? Das, fürchte ich, ist ein schweres Vergehen. Ein Herz kann nicht zwei Herren dienen.
Natürlich schreibe ich nichts davon in meinem Brief. Stattdessen erkläre ich alles, was im Laufe der letzten Tage geschehen ist: d ’ Albrets Ankündigung, dass er Anne dazu zwingen werde, ihr Verlöbnisversprechen zu erfüllen; das Erscheinen des Herzogs von Nemours mit einem neuen Angebot. Unglücklicherweise muss ich sie auch von der darauf folgenden Ermordung Nemours’ informieren und davon, dass Mortain mich zu der Wache geleitet hat, die Nemours verraten hatte. Als ich fertig bin, ist der Brief schwer und voller grimmiger Nachrichten.
Als der Brief unterschrieben ist und ich keine drängenden Pflichten habe, denen ich mich widmen müsste, nehme ich mir die Zeit, an Annith zu schreiben. Die Feder fliegt über das Pergament, und die Fragen und Sorgen strömen aus mir heraus. Ich frage sie, ob sie von der Reliquie wisse und von der Gnade, die sie Mortains Opfern schenkt. Dann erzähle ich ihr von dem kleinen, zarten Setzling der Liebe, der zwischen der Herzogin und Nemours aufgekeimt war, und wie grausam er zertreten wurde. Zuletzt frage ich sie, ob sie wisse, ob irgendwelche der geweihten Schwestern einen besonderen Geliebten außerhalb des Klosters haben.
Als ich mit den Schreiben fertig bin, bin ich ganz geschwächt von der Anstrengung. Ich falte und versiegle beide Briefe, dann begebe ich mich in mein Zimmer, um darauf zu warten, dass man mir zusammen mit meinen übrigen Dingen auch Vanth bringt.
Der Rest des Nachmittages und der Abend ziehen sich hin, und ich bin hin und her gerissen zwischen Wollen und Nichtwollen. Ich will nicht, dass Duval heute Nacht in mein Zimmer kommt; ich bin erschöpft und müde und verwirrter, als ich es je zuvor gewesen bin. Und doch … Und doch fürchte ich, das er es nicht tun wird. Die Wahrheit ist, ich kann mir meine Nächte nicht länger ohne ihn vorstellen.
Ich hätte mir jedoch keine Sorgen zu machen brauchen, denn Duval ist so stetig und beständig wie die Gezeiten. Er kommt früh, damit er sehen kann, wie es mir und meiner Verletzung ergangen ist.
»Ihr schlaft nicht«, sagt er, nachdem er lautlos durch die Tür geschlüpft ist.
»Nein.« Ich mache Anstalten, mich aufzurichten, dann zucke ich zusammen.
»Steht nicht auf«, sagt er scharf und eilt an mein Bett.
Das Feuer in meinem Raum ist geschürt worden, um mich warm zu halten, und ich kann ihn deutlich in dem schwachen orangen Licht der Flammen sehen. Auf seinem Gesicht zeichnet sich der Bartwuchs dunkel ab, und ich sehne mich danach, ihn zu berühren, festzustellen, wie sich das anfühlt. Schnell beschäftige ich meine Finger stattdessen mit der kostbaren Seide meiner Decke.
»Braucht Ihr irgendetwas? Gegen den Schmerz? Um Euch in den Schlaf zu helfen?«
»Nein, gnädiger Herr.«
Er schweigt für einen Moment, und ich kann spüren, dass er auf mich herabschaut. »Ich sollte mir Eure Wunde ansehen, um mich davon zu überzeugen, dass sie nicht eitert.«
Das schockiert mich genug, um in sein Gesicht aufzublicken. »Nein! Ich könnte es erkennen, wenn es so wäre. Ich bin mir sicher, dass mit der Wunde alles in Ordnung ist.«
Er lächelt schief. »Ich habe schon geahnt, dass Ihr das sagen würdet.« Er beugt sich zu mir herunter, und ich erstarre. Ein einzelner Finger berührt meine Wange, so sanft wie eine fallende Schneeflocke. »Ich halte es nicht für klug, dass ich länger verweile.« Seine Stimme ist voller Sehnsucht und Bedauern. »Nicht heute Nacht«, fügt er hinzu, dann verabschiedet er sich.
Es dauert lange, bis der Schlaf kommt.
Dreiunddreißig
AM MORGEN BRECHEN DUVAL und die meisten anderen Adligen und Höflinge zu einer weiteren Jagd auf. Obwohl es Advent ist und drei Tage die Woche gefastet werden muss, leeren sich die Vorratskammern der Burg schnell. Außerdem hofft man, dass eine Jagd das Blut der übellaunigen und angespannten Edelleute abkühlen wird.
Mir hat man die Aufgabe zugewiesen, der
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