Grave Mercy Die Novizin des Todes
umhin, auf ihre Scheinheiligkeit einzugehen. »Allein?« Ich lege die Hände an die Lippen, als sei ich entrüstet. »Ihr würdet sie mit ihm allein lassen, Madame?«
»Nein, Ihr Närrin.« Madame Dinan zischt förmlich. »Ich würde als Anstandsdame dabeibleiben.«
»Es spielt keine Rolle«, erklärt die Herzogin geziert, »denn ich werde ihn nicht empfangen.«
»Aber Euer Hoheit, Ihr seid ihm eine Gelegenheit schuldig, seine Sache zu …«
»Das hat er getan«, unterbricht Anne sie scharf. »Vor all den Baronen der Bretagne, falls Ihr Euch richtig erinnert. Ich habe ihn damals abgewiesen, und ich weise ihn jetzt ab.«
Madame Dinan hört auf zu sticken und beugt sich vor. »Irgendjemanden müsst Ihr heiraten. Er ist halb Bretone und hat die Truppen, die Ihr braucht.«
»Er ist außerdem alt und fett und ungehobelt. Er hat sieben Kinder und ist Großvater!«
Madame Dinans Nasenflügel flattern verärgert. »Eure Heirat muss das Herzogtum stärken.«
Die Herzogin hält den Blick auf ihre Stickerei gesenkt, aber sie stickt blind. »Obwohl ich weiß, dass es meine Pflicht ist zu heiraten, denke ich nicht, dass ich ihn ertragen muss.«
Hinter mir beginnt Isabeau verhalten zu röcheln. Sie ist noch blasser geworden, und ihr Blick ist auf die beiden streitenden Frauen gerichtet. Ich sticke schnell ein kleines, finsteres Gesicht auf mein Leinen. Dann stoße ich sie mit dem Ellbogen an, und sie schaut zu mir auf, bevor sie den Blick auf meine Stickerei richtet. Das dumme Gesicht – oder vielleicht ist es meine jämmerliche Stickkunst – bringt es fertig, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.
Madame Dinan beugt sich noch weiter vor, und in ihren Augen brennt Ehrgeiz. »Ihr habt eine Pflicht – eine Pflicht – Eurem Land und Graf d ’ Albret gegenüber, die Übereinkunft zu ehren, die Euer Vater getroffen hat.«
Der Zauber meines Tricks ist für Isabeau gebrochen, und das Kind beginnt zu husten. Mit einem verärgerten Zungenschnalzen wirft Madame Dinan ihre Stickerei beiseite. »Holt die Hofärzte«, verlangt sie.
Isabeau presst sich in ihr Sofa. »Nein, bitte, nein«, flüstert sie. »Ich werde aufhören zu husten.«
Madame eilt zu ihr hinüber und streicht die Stirn des Kindes glatt. »Es ist keine Strafe, Kind. Sie wollen lediglich, dass es Euch besser geht.«
»Aber ich hasse die Blutegel«, wimmert sie. »Seht Ihr?«, fügt sie hinzu, und ihre Miene hellt sich auf. »Ich habe jetzt aufgehört. Ich brauche die Ärzte nicht.«
Anne beugt sich vor und streicht ihrer Schwester einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Sie ist nicht fiebrig«, erklärt sie Madame Dinan.
Die Gouvernante presst die Lippen aufeinander. »Also schön, aber wenn es wieder geschieht, wird sie sie empfangen müssen.«
Madame Dinan kehrt zu ihrem Stuhl zurück, und wir übrigen sticken schweigend weiter; keine von uns will diejenige sein, die die arme Isabeau zu einem weiteren Hustenanfall veranlasst, der ihr die Hofärzte auf den Hals hetzt.
Es bleibt so lange still, dass das Mädchen einschlummert. Anne lächelt erleichtert, und ihre Schultern verlieren etwas von ihrer Angespanntheit.
Madame Dinan erhebt sich. »Wenn Ihr mich entschuldigen würdet, Euer Hoheit, es gibt da etwas, worum ich mich kümmern muss.« Sie spricht leise, um Isabeau nicht zu wecken.
Anne nickt zum Zeichen, dass es der Gouvernante erlaubt ist zu gehen. Als Madame Dinan aus dem Raum schlüpft, sehe ich die Herzogin an und ziehe fragend die Augenbrauen hoch.
Einer ihrer Mundwinkel zuckt in die Höhe. »Habt Ihr das Mal Eures Heiligen bei ihr gesehen?«, fragt sie so leise, dass ich einen Moment brauche, um mir sicher zu sein, dass ich richtig gehört habe.
Ich blinzele überrascht. »Nein, Euer Hoheit.«
»Ein Jammer«, murmelt sie, dann nickt sie zum Zeichen, dass ich Madame Dinan folgen solle. Ich mache einen schnellen Knicks, dann eile ich hinter der Gouvernante her.
Ich achte sorgfältig darauf, ein gutes Stück hinter der Frau zu bleiben. Bei ihrem Vorsprung ist es nicht weiter schwierig. Der Mangel an Höflingen im Palast gereicht mir ebenfalls zum Vorteil, denn da so wenige andere Personen in der Nähe sind, höre ich ihre Schritte weit durch die Flure hallen und habe es leicht, ihr zu folgen, selbst wenn sie vorübergehend außer Sicht ist.
Im Ostturm des Palastes hält sie inne, um sich umzublicken, und ich ducke mich schnell in eine Ecke. Dann höre ich, dass sie an eine Tür klopft. Eine Männerstimme begrüßt sie, und Madame Dinans
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