Grave Mercy Die Novizin des Todes
meine Tasche gleiten und schließe sie um den schweren goldenen Siegelring. »Ich glaube, dass Kanzler Crunard uns alle verraten hat.«
»Crunard?« Dunois’ Augen weiten sich vor Erstaunen und Ungläubigkeit, aber ich bin erleichtert, dass er meine Information nicht auf der Stelle abtut.
»Ja, gnädiger Herr. Es ist eine lange und komplizierte Geschichte, eine, von der Duval dachte, dass Ihr sie nicht ohne Beweis akzeptieren würdet.«
»Ihr habt diesen Beweis?«
»Eine Art Beweis.« Ich hatte unterwegs zwei Tage Zeit, um ein wenig Ordnung in meine Gedanken zu bringen, daher bin ich zutiefst unzufrieden, als ich nun nach Worten suche. »Zum ersten Mal ist mir unbehaglich geworden, was ihn betrifft, als Ihr uns erzählt habt, dass der Kanzler Duval an dem Abend, an dem der Rat seine Verhaftung erörtert hat, nicht besser verteidigt hat, denn der Kanzler steckte hinter vielen von Duvals Taten. Mein Argwohn ist noch gewachsen, als ich eine Nachricht aus meinem Kloster bekam, dass Crunard ihnen berichtet habe, Duval sei in die Verschwörungen seiner Mutter verwickelt, obwohl das offenkundig falsch war.«
Dunois’ buschige Brauen ziehen sich zusammen. »Der Kanzler hat ihnen das erzählt?«
»Ja, aber da ist noch mehr.« Ich verbringe die nächste Stunde damit, all meine Beweise gegen Kanzler Crunard vorzulegen: Den Angriff der Wegelagerer auf uns, den Siegelring, den Tod von Nemours und die krassen Lügen, die er dem Kloster erzählt hat.
Als ich fertig bin, sitzt Dunois lange Zeit stumm und grübelnd da. Schließlich schüttelt er den Kopf. »Obwohl ich nachvollziehen kann, dass Eure Argumente Euch dazu gebracht haben, dies zu glauben, kann ich nicht umhin, das Gefühl zu haben, dass es irgendeine andere Erklärung gibt, die wir übersehen.«
»Aber was ist mit dem Siegelring? Gewiss ist das ein Beweis.«
Dunois erhebt sich. »Es ist seltsam, das gebe ich zu, aber ein Beweis für Hochverrat? Und in so großem Ausmaß?«
Er schüttelt abermals den Kopf. »Ich kann mich nicht dazu überwinden, das von dem Kanzler zu glauben. Was denkt Duval darüber?«
»Duvals Geist war zu sehr von dem Gift verzehrt, dass Crunard ihm gegeben hat, um vernünftig denken zu können.«
Dunois’ Kopf fährt hoch. »Gift? Duval ist vergiftet worden?«
»Ja, gnädiger Herr. Ein weiterer Verrat, den der Kanzler begangen hat.«
Dunois’ rotes Gesicht wird kreidebleich. »Ich dachte, er habe sich lediglich versteckt.«
»Die Vergiftung ist ziemlich weit fortgeschritten«, eröffne ich ihm sanft. »Er kann die Beine nicht mehr bewegen. Die Lähmung wird als Nächstes seine Lungen erreichen, dann sein Herz. Vielleicht ist es bereits geschehen.«
Das Schweigen ist erfüllt vom Knistern und Zischen des Feuers.
»Jesus!«, murmelt Dunois und reibt sich das Gesicht. »Wenn das, was Ihr sagt, wahr ist, können wir nicht nach Guérande zurückkehren, sollte dieser Schachzug hier fehlschlagen. Und Isabeau …« Er schaut zu mir auf, und auf seinem Gesicht steht ein gehetzter Ausdruck.
»Ihr müsst dafür sorgen, dass dieser Schachzug hier nicht fehlschlägt«, erkläre ich. »Ich werde mir etwas ausdenken, wie wir Isabeau befreien können, sobald wir dies hier abgeschlossen haben.«
Fünfzig
DER NÄCHSTE TAG IST ein Sonntag, und die Herzogin verbringt den Morgen im Gebet, aber ich bin für dergleichen viel zu rastlos. Ich gehe zum Fenster und starre in den tiefen Wald, der das Jagdhaus umgibt, und frage mich, ob mein Brief das Kloster erreicht hat, und wenn ja, ob die Äbtissin mir glaubt. Ich wünschte mir zutiefst, dass Annith mir vor meinem Aufbruch geschrieben hätte. Selbst wenn sie die Antworten gefunden hat, nach denen ich suche, wird Vanth mich hier niemals finden. Wie eine Zunge, die über einen schmerzenden Zahn streicht, wandert mein Geist zu Duval zurück. Unser Abschied – hätte ich etwas anders machen sollen? Und was ist mit Crunard? Er war immer argwöhnisch, was Duvals Verschwinden betraf; ob er nach ihm gesucht hat, sobald ich fort war?
Vielleicht wird Duval aber auch an dem Gift gestorben sein, bevor Crunard ihn findet.
Diese Gedanken streuen Salz in meine frische Wunde und treiben mich dazu, nach meinem Umhang zu greifen und nach draußen zu gehen. Das Jagdhaus liegt auf einem Bergrücken, von dem aus man einen Blick auf die Loire und ihr Tal hat. Der kalte Wind peitscht mir das Haar ins Gesicht und zerrt an meinem Umhang, während ich auf die Zinnen der Stadt hinunterschaue. Was planen diese Verräter? Ich
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