Grave Mercy Die Novizin des Todes
»Du hast nur zwei Männer getötet, nicht drei, aber du bist nah daran, deine Ausbildung zu vollenden. Dieser Auftrag ist deine letzte Prüfung. Sobald du sie bestehst, wirst du nur noch deine Gelübde ablegen müssen, damit wir sehen, dass du dich diesem Kloster ganz und gar verschrieben hast.«
Entsetzt darüber, dass sie etwas anderes denken könnte, sehe ich ihr in die Augen und dränge sie im Geiste, die Wahrheit meiner Worte zu erkennen. »Ich fühle mich ihm bereits zur Gänze verpflichtet, ehrwürdige Mutter.«
»Ich weiß. Was der Grund ist, warum ich dir einen von Mortains eigenen Dolchen gebe.«
Ich blinzele überrascht. »Ich habe noch nie zuvor von einem solchen Dolch gehört.«
»Die Geweihten tragen sie, und da du als eine solche handeln wirst, möchte ich, dass du ordentlich bewaffnet bist, mit einer Reliquie.« Sie schlägt das Leder auf und enthüllt einen uralten Dolch mit einem silbernen Griff. Die Klinge ist eine Handspanne lang und vom Alter abgenutzt. »Dieses Messer besitzt eine uralte Magie, eins von Mortains größten Geschenken«, sagt sie und hält es mir hin. Als ich es in die Hand nehme, fühlt es sich warm an.
»Bei einem lebenden Mann«, fährt sie fort, »braucht diese Reliquie nur die Haut zu durchdringen, um die Seele aus dem Körper freizulassen. Weil der Dolch von Mortain selbst gefertigt wurde, werden ein winziger Schnitt oder Kratzer die Seele einer Person zu Ihm schicken, schnell und sicher. Es ist als eine Waffe der Gnade gedacht – eine Möglichkeit, Tod zu bringen und die Seele davor zu bewahren, schmerzhafte Tage damit zu verbringen, zu schmachten und über die eigenen Sünden und Missetaten nachzugrübeln.«
Von Ehrfurcht erfüllt angesichts der Macht dieses Geschenks lasse ich das Messer in die Tasche an meiner Taille gleiten; das Gewicht fühlt sich beruhigend an an meinem Bein. Diese Rede von Seelen hat mich auch an Martel erinnert. »Ehrwürdige Mutter, als Martels Seele seinen Körper verließ, habe ich gespürt, wie sie durch mich hindurchgerauscht ist. Ist das … normal?«
Die Äbtissin sieht mich lange an, dann runzelt sie schwach die Stirn. »Aber natürlich. Es war deine erste Begegnung mit einer Seele, nicht wahr?« Als ich nicke, spricht sie weiter. »Die Begegnung war zweifellos machtvoll und unerwartet für dich, da es keine Kleinigkeit ist, eine Seele in all ihrem Reichtum zu erfahren.« Sie legt mir eine Hand auf die Wange, wie eine Mutter es bei ihrem Säugling machen würde. »Du bist als ein Klumpen Ton zu uns gekommen, und wir haben dich zu einem Instrument des Todes geformt. Duval ist der Bogen, und du bist der Pfeil, der auf unsere gemeinen Feinde zuschießen wird. Geh morgen und sorg dafür, dass wir stolz auf dich sein können. Beschäme uns nicht mit Zweifeln oder Zögern.«
Und in der Tat, ihre Worte genieren mich. Ich bin für das Kloster nichts als ein Werkzeug, das benutzt wird, wenn es notwendig ist. Wer bin ich, jene zu hinterfragen, die mich vom Kellerboden aufgehoben haben?
Ich bin ein Instrument des Todes. Ich gehe in Seinem dunklen Schatten und erfülle Seinen Willen. Ihm zu dienen ist mein einziges Ziel in diesem Leben, und ich habe zugelassen, dass mein Ärger die Pflicht aus meinem Kopf verdrängt hat. Es wird nicht wieder vorkommen.
Statt direkt in den Innenhof zu gehen, mache ich am Morgen einen kurzen Umweg, um mich von Annith zu verabschieden. Sybella hatte keine Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen, und ich möchte nicht, dass Annith das zweimal erleiden muss.
Sie ist im Kontor des Vogelhauses und löst die betagte Schwester Claude bei der Arbeit ab. Bei meinem Näherkommen erschrickt sie, und ihre Augen weiten sich, als sie meinen Reiseumhang und die Tasche sieht. Sie presst die Lippen fest zusammen und wendet sich ab.
Sie versiegelt ein kleines Pergament neu mit Bienenwachs. Schuldgefühle darüber, dass ich vor ihr erwählt wurde – wieder einmal –, erfüllen mich. Ich versuche die Stimmung aufzuhellen. »Schwester Claude wird dich erwischen«, necke ich sie.
Annith konzentriert sich entschlossen darauf, die Zeichen ihrer Schnüffelei zu verbergen. »Und ich werde einwenden, dass dies genau das ist, wofür sie mich ausgebildet haben.«
»Stimmt.«
Schweigen breitet sich zwischen uns aus, während sie ihr Werk beendet. Als sie erneut spricht, ist es, als spucke sie bittere Kerne aus. »Du gehst wieder fort.«
Ich kann ihr keine andere Antwort geben als die Wahrheit. »Ich soll ein Mitglied von Vicomte Duvals
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