Grave Mercy Die Novizin des Todes
Haushalt werden.«
Ihr Kopf fährt in die Höhe, und trotz ihrer Enttäuschung ist ihr Interesse erregt. »Der, der gestern bei der ehrwürdigen Mutter hereingeplatzt ist?«
Ich nicke. Im Innenhof sind immer noch keine Stimmen zu hören, also erzähle ich Annith schnell von den Ereignissen des Abends und was sich im Büro der Äbtissin zugetragen hat. Als ich zum Ende komme, wirft sie die neu versiegelte Nachricht angewidert auf den Tisch. »Ich sollte es sein«, sagt sie mit stiller Wildheit.
»Ich weiß. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Äbtissin dich für etwas wahrhaft Besonderes aufhebt.«
»Es liegt daran, dass ich bei der Lektion mit der Leiche versagt habe.«
Es ist die einzige der Lektionen des Klosters, in der Annith nicht überragend abgeschnitten hat – die Zeit, in der wir unsere Fähigkeiten an Leichen üben mussten. Sybella und ich hat ten beide eine schwierige Vergangenheit, die uns die Kraft für die Aufgabe gab, aber Annith hatte so etwas nicht. »Du hast gezaudert, nicht versagt«, widerspreche ich. »Und am Ende hast du es getan. Schwester Arnette hat gesagt, du hättest bestanden. Das kann es nicht sein. Vielleicht liegt es einfach daran, dass du jünger bist?«
»Ich bin nur ein Jahr jünger als du und Sybella. Und Sybella war in meinem Alter, als sie das erste Mal ausgesandt wurde.« Sie funkelt mich an; sie will meine Worte des Trostes nicht. »Wissen sie, wie viele Unterrichtsstunden du geschwänzt hast?«
»Schwester Serafina brauchte meine Hilfe in der Werkstatt!«
»Trotzdem«, schnieft sie. »Ich bin besser im Tanzen und in der Koketterie, ganz zu schweigen davon, dass ich dich bei unseren Kampfstunden sieben von zehn Mal schlagen kann.«
Ihre Worte mahnen mich an meine stillen Sorgen. Bei diesem Auftrag wird es nicht darum gehen, schnell hinein- und wieder hinauszuschlüpfen, ohne bemerkt zu werden; es wird ein längerer Betrug sein, und zwar unter den Augen von solchen, die einen Heuchler mühelos entdecken können. »Ich bin mir sicher, dass die ehrwürdige Mutter das weiß«, sage ich und hoffe, dass es die Wahrheit ist.
Ihre Fassade der Überlegenheit zerbröselt. »Wenn es nicht die Leiche ist, dann ergibt es keinen Sinn«, flüstert sie, und ich spüre ihre Verzweiflung, als sei sie meine eigene.
»Hast du die Äbtissin gefragt?« Ich würde ein solches Risiko niemals eingehen, aber Annith geht mit der ehrwürdigen Mutter viel unbefangener um als ich.
»Und sie an meinem Glauben an Mortain und an meiner Hingabe an Ihm zweifeln lassen?«, fragt sie spöttisch. »Wohl kaum.«
Ich höre eine Männerstimme im Innenhof, was mich daran erinnert, wo meine gegenwärtigen Pflichten liegen. »Ich muss aufbrechen. Bitte, lass uns nicht im Ärger auseinandergehen.«
Sie tritt näher und schlingt die Arme um mich. »Ich bin nicht böse auf dich .«
Ich erwidere ihre Umarmung und frage mich, wie lange es dauern wird, bis ich sie wiedersehe. »Vielleicht wirst du dich bald bei Hof zu mir gesellen?«, meine ich.
»Ich werde jeden Abend dafür beten.«
Ich betrachte das neu versiegelte Pergament auf dem Tisch vor ihr. »Keine Nachricht von Sybella?«
»Nichts.« Dann hellt ihre Miene sich auf. »Vielleicht wirst du bei Hof etwas über sie erfahren.«
»Wenn ja, werde ich dir eine Nachricht schicken.« Wir umarmen uns ein letztes Mal, bevor ich aus dem Kontor des Vogelhauses eile.
Ich umklammere meine kleine Tasche mit meinen Besitztümern und gehe zum Strand, wo Duval auf mich wartet. Sein brauner Umhang flattert in der steifen Brise um seine Stiefel. Er wirkt nicht glücklicher über dieses Arrangement, als ich es bin, aber aus meiner Sicht betrachtet ist alles seine Schuld.
Als er mir eine Hand unter den Ellbogen legt, um mir ins Boot zu helfen, verschwindet all die heilige Entschlossenheit, in die ich mich gehüllt habe, und ich zucke zurück und schubse uns beinahe beide ins Wasser.
»Seid nicht dumm«, knurrt er.
Aber ich bin im Boot, und er berührt mich nicht länger, also betrachte ich mich als die Siegerin des kleinen Gefechts.
Ich setze mich auf die Bank und starre auf die Sonne, die auf dem blauen Wasser funkelt. Dann unterhalte ich mich mit der Frage, ob Duval schwimmen kann und ob ich wage, ihn in dieser Hinsicht auf die Probe zu stellen.
»Dies ist nicht mein Werk, Demoiselle«, sagt er, »also könnt Ihr Euch Eure Gereiztheit für die Äbtissin aufsparen.«
»Es ist ganz gewiss Euer Werk. Wenn Ihr Euch nicht dafür entschieden hättet, die Arbeit des
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