Grave Mercy Die Novizin des Todes
bleiben«, unterbricht die Herzogin sie. Ohne auf die hochgezogenen Augenbrauen ihrer Gouvernante zu achten, erhebt sie sich.
»Vielen Dank, Euer Hoheit.« Mein Dank kommt durchaus von Herzen, während ich meine Stickerei beiseitelege, nur allzu froh, ihr aus dem Wintergarten zu folgen.
Sobald wir allein im Flur sind, tauschen wir einen Blick, und etwas von der Anspannung weicht aus ihren Zügen. Trotzdem fühle ich mich gezwungen zu fragen: »Seid Ihr sicher, dass Ihr dies heute zu tun wünscht?«
»Jetzt mehr denn je«, antwortet sie mit fester Stimme. »Der einzige Weg, der mir offensteht, ist einer, den ich nicht einschlagen kann. Es ist schwach von mir, ich weiß, aber …« Ihre Stimme stockt, und sie richtet ihre feucht glänzenden Augen auf mich. »Ich kann nicht«, flüstert sie. »D ’ Albret macht mir schreckliche Angst.«
»Ich mache Euch keinen Vorwurf, Euer Hoheit. Mir macht er auch Angst. Niemand sollte ein solches Opfer von Euch verlangen.«
Meine Worte trösten sie ein wenig, und wir gehen schweigend ein kurzes Stück, bevor sie wieder zu sprechen beginnt. »Ihr habt Herzog Nemours gesehen, nicht wahr? Wie hat er Euch gefallen?« Sie ist jetzt ganz wie ein zwölfjähriges Mädchen, gespannt darauf, ihren neuen Verehrer kennenzulernen.
»Hat er nicht schon einmal um Eure Hand angehalten?«, frage ich.
Sie zuckt die Achseln. »Ja, aber ich habe ihn nie gesehen.«
»Nun, er ist ziemlich alt, mit einem langen weißen Bart und gebeugtem Rücken. Und seine Zähne sind gelb.«
Ihre entsetzte Miene verwandelt sich in eine verärgerte, als sie begreift, dass ich scherze, dann lacht sie. »Ihr seid genauso schlimm wie Duval, wenn es um Neckereien geht«, meint sie. Aber mein Witz hat funktioniert. Als wir die Kapelle erreichen, ist noch ein Rest von ihrem Lachen in ihren Augen und spielt um ihre Lippen.
Die Kapelle ist klein und fast verlassen, und ich sehe mit Freude die neun Nischen unter dem Kruzifix, die die alten Heiligen ehren. Der einzige andere Betende in der Kapelle trägt einen dunkelgrünen Umhang mit hochgezogener Kapuze. Bei unserem Erscheinen erhebt er sich, zieht die Kapuze vom Gesicht und entblößt das rotgoldene Haar und die schön geschnittenen Züge von Frédéric von Nemours. Er und die Herzogin sehen einander lange an, und dann macht er eine kunstvolle, höfische Verneigung.
»Herzog Nemours?«, fragt sie, und ein kleiner Hoffnungsfunke erhellt ihr Gesicht. »Ihr dürft an der Tür warten«, flüstert sie mir zu, dann rafft sie ihre Röcke und gesellt sich zu Nemours in eine Bank im vorderen Teil der Kirche.
Ich beziehe an der Tür Position, falte die Hände und versuche, so auszusehen, als würde ich beten, statt mich vor Neugier zu verzehren.
Ihre Stimmen sind nur ein leises Murmeln; Annes Benehmen ist zu Anfang ein wenig verlegen, aber Nemours beruhigt die Herzogin schnell. Sobald ich sehe, dass sie die Köpfe zusammenstecken und leises Gelächter höre, richte ich meine Gedanken auf meine eigenen Pläne.
Kanzler Crunards Worte hallen noch immer in meinen Ohren wider: Sucht bei d’Albret unbedingt nach einem dieser Male. Warum ist mir nicht früher klar geworden, dass ich d ’ Albret absuchen muss, bevor ich mir sicher sein kann, dass er kein Todesmal trägt?
Weil ich ein Feigling bin, deshalb.
Aber gewiss hat Crunard recht, was die Frage betrifft, wo meine Pflichten liegen, und die Äbtissin würde wollen, dass ich mir eine Gelegenheit verschaffe, um festzustellen, ob d ’ Albret irgendwo auf seinem Körper ein Todesmal trägt.
Ein Schlag auf den Kopf ist nicht die einzige Möglichkeit, um einen Mann zu töten.
Da die Herzogin nicht bereit ist, sich an diesem Abend ihren streitsüchtigen Baronen zu stellen, beschließt sie, mit ihrer Schwester in ihren Gemächern zu Abend zu essen. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob sie außerdem das Lächeln verbergen will, das ihr jetzt auf dem Gesicht liegt. Wahrhaftig, sie und Nemours passen gut zusammen, und seine Werbung ist ein Geschenk sowohl von Gott als auch von den Heiligen. Und wenn es heute Abend bei Hof nicht ganz so formell zugeht, wird es leichter für mich sein, nach einigen Antworten zu suchen.
Meine kurze Begegnung mit Kanzler Crunard und ein Nachmittag des Gebets haben mich davon überzeugt, dass ich einem großen Irrtum aufgesessen bin, als ich annahm, Mortain würde d ’ Albret weithin sichtbar kennzeichnen. Wie die Äbtissin mir so gern ins Gedächtnis ruft, so arbeitet unser Heiliger nicht. In der
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