Grave Mercy Die Novizin des Todes
zum Hauptportal der Burg. Draußen ist die Nacht kühl, aber der Mond ist voll und wirft ein helles silbriges Licht auf die Straßen Guérandes. Wir gehen in zornigem Schweigen nebeneinanderher, benutzen Seitenstraßen und Gassen und halten uns beide im Schatten. Unsere dunklen Umhänge machen uns fast unsichtbar. Leichte Nebelschwaden kriechen vom Meer heran und bringen den feuchten Geruch der nahen Salinen mit sich.
Als wir seine Residenz fast erreicht haben, beginnt Duval zu sprechen. »Die Herzogin ist sehr erfreut über Nemours’ Angebot.« Seine Stimme ist hölzern, förmlich. »Wir werden den Antrag in einigen Tagen dem Kronrat vorlegen, um seine Zustimmung zu erhalten.«
Und obwohl ich geschworen habe, nie wieder mit ihm zu sprechen, bin ich überrascht genug, um aufzublicken. »Ist das klug? Ich dachte, Heimlichkeit sei von größter Wichtigkeit.«
Er verzieht frustriert das Gesicht. »Wir haben kaum eine andere Wahl. Sie ist noch nicht zur Herzogin gekrönt worden, also kann sie noch nicht allein entscheiden. Wir brauchen auf jeder Übereinkunft, die wir treffen, die Unterschriften des Kronrats. Danach werden wir zügig zu Werke gehen, um das Element der Überraschung weiter für uns zu nutzen.«
Wir erreichen seine Residenz, und er führt uns durch die Vordertür und nickt den überraschten Wachen zu. Dann hält er am Fuß der Treppe inne und bedeutet mir vorauszugehen. »Ich denke, heute Abend haben wir genug Zeit miteinander verbracht. Außerdem habe ich für die Ratssitzung morgen viel vorzubereiten.«
Ich bin nur allzu glücklich, ihm eine gute Nacht wünschen zu können. Als ich mein Zimmer erreiche, kleide ich mich nicht aus, sondern gehe stattdessen zum Fenster und knie mich in die Pfütze aus Mondlicht auf den Boden.
Ich bete zu Mortain um Einsicht und Klarheit, um das Dickicht der Loyalitäten und Allianzen um mich herum zu durchschauen. Ich bete um die Weisheit, Seinen Willen in dieser Angelegenheit zu erkennen. Und vor allem bete ich darum, dass ich mich nicht in Duval verliebe.
Ich weiß nicht, warum ich mich zu ihm hingezogen fühle. Er sieht nicht so gut aus wie de Lornay und ist nicht so umgänglich wie die Bestie. Sein Bruder hat ein charmanteres Benehmen, und doch …
Es ist Duval, der mein Herz schneller schlagen lässt, der meinen Geist verwirrt, der mich atemlos macht. Denn selbst wenn er zornig ist, ist er freundlich, und es ist nicht die bloße oberflächliche Freundlichkeit eines guten Benehmens, sondern wahre Anteilnahme. Oder zumindest scheint es wahre Anteilnahme zu sein, denn ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass alles Schauspielerei sein könnte. Eine Schauspielerei, die dazu gedacht ist, mein Vertrauen zu gewinnen. Und genau wie ein armes dummes Kaninchen bin ich in seine Falle getappt.
Achtundzwanzig
ES DAUERT NICHT LÄNGER als drei Tage, bis die Herzogin und Nemours sich ineinander verlieben, und wer könnte ihnen einen Vorwurf daraus machen? Nemours ist jung und gut aussehend und freundlich, ohne oberflächlich zu sein, denn er hat genau wie unsere Herzogin Kummer erfahren. Es schadet der Sache nicht, dass er gekommen ist, um sie zu retten, noch dass sie eine junge Frau in Nöten ist, umringt von hufscharrenden Baronen. Es ist so romantisch wie die Geschichten der Troubadoure.
Aber sie lässt sich das nicht zu Kopfe steigen. Während dieser drei Tage tüfteln sie und Duval die denkbar günstigsten Bedingungen für das Verlöbnis aus. Wenn sie dem Kronrat einen starken, soliden Ehekontrakt vorlegen können, wird es ihren Ratgebern schwerfallen, ihr Ansinnen abzulehnen.
Alles ist in Aufruhr wegen d ’ Albrets Androhung eines Krieges. Sitzung folgt auf Sitzung, während der Rat und die Barone darüber sprechen, wie sie dieser neuesten Gefahr am besten begegnen. Es sind Sitzungen, von denen die Herzogin sich ab und zu mit Kopfschmerzen zurückzieht. Ihre ehrgeizigen Vormunde sind nur allzu glücklich, sie aus dem Weg zu haben, während sie ihre Ränke schmieden und die Zukunft ihrer Herzogin planen.
Der Kronrat kommt in den privaten Gemächern der Herzogin zusammen, abseits der neugierigen Augen und gespitzten Ohren des Hofes. Zwei Wachen stehen an der Tür zu ihren Räumen. Doch wie gut sie auch ausgebildet sein mögen, sie können nicht um Ecken sehen, und es gibt ein Vorzimmer, das an den Wintergarten angrenzt und das man leicht benutzen könnte, um zu lauschen.
Duval hat mich in diesen Raum gesetzt, um als zweite Wache zu fungieren. Aber es gibt keine
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