Graveminder
den Gehweg.
»Weihwasser«, keuchte Amity. »Ich will nicht so werden wie …«
»Das wirst du nicht. Es ist nicht ansteck…«
»Was?«, unterbrach Amity.
Byron drehte bereits den Deckel von einer der Plastikflaschen ab. »Fertig.«
Er goss das Wasser über die Wunde. Es rann als rosiger Strom über den Bürgersteig und floss auf eine Zigarettenkippe und ein Blatt.
»Beeil dich!« Rebekkah warf Byron einen Blick zu und entdeckte dann die Menschen, die aus den Häusern gelaufen kamen und sie beobachteten. Sie konnte sich nicht auf sie konzentrieren. Ihr Körper fühlte sich an, als würde sie davongezogen.
Eine Frau, an deren Namen Rebekkah sich nicht erinnerte, schob sich an fünf oder sechs Gaffern vorbei. »Wir haben Hilfe gerufen. Ich hörte einen Schrei, aber Roger dachte, es sei etwas im Fernsehen. Was soll ich tun?«
»Können Sie die Leute zurückhalten?« Als die Frau nickte, wandte Byron erneut Amity seine Aufmerksamkeit zu. »Hast du … etwas gesehen?«
»Troy.« Amity schenkte den beiden ein schiefes Lächeln. »Etwas mit ihm war nicht in Ordnung. Das weiß ich genau. Ich habe ihn schon vorher gesehen … und Nachrichten an mich selbst geschrieben. Manchmal helfen die Notizen, mich an bestimmte Ereignisse zu erinnern. Meistens.«
Stirnrunzelnd griff Amity in ihre Jackentasche. Als sie die Hand wieder hervorzog, umklammerte sie ein kleines Notizbuch. »Hier. Das ist alles, was ich weiß.«
Byron schlug es auf. Die Schrift wirkte abwechselnd fahrig und ruhig. Wörter standen quer über ganze Seiten geschrieben, als seien sie rasch aufs Papier geworfen worden, und die freien Stellen ringsum waren eng beschrieben. Ein Teil der Aufzeichnungen war anscheinend in einem Code verfasst.
»Am Ende. Ich habe ihn vorhin gesehen, und ich habe es aufgeschrieben.« Amity starrte Byron an, der die Seiten umblätterte. Als er zur letzten Seite kam, drehte er das Notizbuch so, dass Amity und Rebekkah es sehen konnten.
Schweigend las Rebekkah die Worte, die Amity in dicker Blockschrift geschrieben hatte. TROY IST TOT. REBEKKAH BESCHEID SAGEN. Die Worte waren mehrmals unterstrichen.
Der Abend, an dem ich ihn gesehen habe. Rebekkah lief es kalt über den Rücken. Er hat versucht, mich zu beißen.
»Amity?«, sagte Byron. »Rede mit mir!«
Amity hatte den Kopf zwischen die angezogenen Knie gesteckt. Ihre Stimme klang gedämpft. »Er hat mich gebissen. Ich habe ihn früher schon gesehen und bin davongerannt. Maylene hat mir gesagt, wenn jemals etwas Seltsames passiert und sie ist nicht da, soll ich dir Bescheid sagen.« Amity wandte den Kopf zur Seite und sah Rebekkah unverwandt an. »Was hat das zu bedeuten? Ist er ein Vampir?«
»Nein. Es bedeutet einfach, dass ich ihn daran hindern muss, noch anderen wehzutun«, erklärte Rebekkah. »Und das werde ich auch tun, Amity. Versprochen.«
»Und ich? Werde ich jetzt … krank?« Amity wandte den Blick nicht ab. »Mir ist ganz schlecht, weil ich versuche, es nicht zu vergessen … Vielleicht liegt es auch daran, dass mir ein Stück Haut fehlt.«
»Oder an beidem.« Rebekkah legte die Hand an Amitys Schläfe und strich ihr das Haar zurück. »Manches wird leichter, wenn man das Vergessen zulässt.«
»Ich vergesse aber nicht gern etwas. Deswegen führe ich das Tagebuch.« Amity lachte, aber es klang eher wie ein Schluchzen.
Byron steckte Amitys Tagebuch in seine Jackentasche. »Da kommt Chris.«
Der Sheriff hielt den Wagen neben ihnen an. Dicht hinter ihm eilten die Sanitäter herbei. Christopher stieg aus und trat auf den Gehweg.
»Was ist passiert?«
Byron zögerte nicht. »Ein Hund oder ein anderes Tier hat sie angefallen. Wir haben sie schreien gehört und in diesem Zustand vorgefunden.«
»Joe?«, schrie der Sheriff. »Noch so ein verdammter Hundebiss!«
Ein junger Sanitäter übernahm, und Christopher warf Rebekkah und Byron einen aufgebrachten Blick zu. »Ich hoffe, das ist bald vorbei.«
»Ich auch«, gab Rebekkah zurück.
Byron legte den Arm um sie. »Es ist bald vorbei, ganz bestimmt.«
Amity schien nicht recht überzeugt, wie ihr Blick verriet, mit dem sie die beiden musterte. Sie rief nicht nach Byron, bat ihn nicht, mit ihr zu fahren, doch Rebekkah erkannte, dass sie sich genau das wünschte.
»Warum fährst du nicht mit Amity?«, schlug sie daher vor.
Byrons Miene machte deutlich, wie töricht er diesen Vorschlag fand. »Chris hat alles im Griff.«
Der Sheriff nickte, und Byron trat zu Amity und sagte leise etwas, das Rebekkah nicht
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