Graveminder
nicht wissen, an welcher Stelle im Haus Maylene gestorben war, doch nachdem sie inzwischen wusste, dass es hier passiert war, konnte sie den Gedanken daran kaum verdrängen. Später. Sie würde ihre Fragen später stellen – an Byron, Sheriff McInney, William.
Cissy saß in Maylenes Schaukelstuhl, und ihrer Miene nach zu urteilen, war sie alles andere als freundlich gestimmt. Als Rebekkah und Byron den Raum betraten, starrte sie den beiden wütend entgegen.
»Tante Cissy«, murmelte Rebekkah.
»Becky.« Cissy hielt mit einer Hand eine Tasse Tee und mit der anderen einen Unterteller in die Höhe. »Ich nehme an, er hat es dir gesagt«, bemerkte sie in schneidendem Ton.
Rebekkah hielt inne. Dies war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit für eine Erklärung. »Bitte nicht.«
»Meine Mutter ist in ihrem Haus getötet worden. In meinem Elternhaus …« Kurz schloss Cissy die Augen und öffnete sie dann wieder, um Rebekkah aufgebracht anzustarren. »Sie haben sie dort in der Küche gefunden. Hat er dir davon erzählt?«
»Cecilia! Bitte, nicht jetzt!« Daniel Greeley, einer der Stadträte, war ins Zimmer getreten. Rebekkah war ihm bei ihren Besuchen bei Maylene ein paarmal begegnet, und sie war dankbar, ihn zu sehen. Er baute sich wie ein Wachtposten vor Cissy auf.
»Ach, es ist in Ordnung, wenn ich es weiß? Es ist okay, wenn meine Töchter es wissen? Aber sie müssen wir beschützen?« Cissy erhob sich so unvermittelt, dass der Schaukelstuhl gegen die Wand stieß. Zornig blitzte sie Rebekkah an. »Du gehörst nicht einmal zur Familie. Du hast hier nichts zu suchen. Verlass einfach das Haus, Rebekkah! Mehr brauchst du nicht zu tun.«
Die Gespräche verstummten, und die Anwesenden verließen entweder höflich den Raum oder wandten sich um, als würden sie das Gespräch nicht mitbekommen. Cissy sprach allerdings so laut, dass sie unmöglich zu überhören war.
»Mutter.« Liz trat neben Cissy. »Du bist aufgeregt und …«
»Wenn sie Anstand besitzt, verlässt sie das Haus.« Cissy sah Rebekkah durchdringend an. »Und sie sorgt dafür, dass Maylenes richtige Familie bekommt, was ihr rechtmäßig zusteht.«
Einen Moment lang war Rebekkah so verblüfft, dass sie nicht reagieren konnte. Bei der Vorstellung, dass es bei Cissys Feindseligkeit um etwas so Kleinliches wie Geld oder Gegenstände ging, wurde ihr übel. War Cissys Gier der Grund dafür gewesen, dass sie all die Jahre zornig auf Rebekkah und ihre Mutter gewesen war?
»Hinaus«, sagte Rebekkah leise. »Sofort.«
»Wie bitte?«
»Hinaus.« Rebekkah trat von Byron weg und auf Cissy zu, aber nicht allzu nahe. Sie legte die Arme an den Körper, damit sie nicht in Gefahr geriet, die Frau zu packen und vor die Tür zu setzen. »Ich lasse nicht zu, dass du dich in Maylenes Zuhause so aufführst. Ich verstehe, dass du nach der Beerdigung aufgewühlt bist, aber weißt du was? Ich habe schon früher erlebt, wie du Maylene mit deinem Geheul zugesetzt hast. Nun lebt sie nicht mehr und kann dir nicht sagen, dass du dich nicht zur Närrin machen solltest.«
Inzwischen standen beide Zwillinge neben ihrer Mutter. Teresa hatte die Hand um Cissys Arm gelegt, entweder um sie zu stützen oder um sie zurückzuhalten. Liz stand mit verschränkten Armen da. Die Zwillinge schwiegen – so wie alle anderen im Raum.
Rebekkah rührte sich nicht. »Ich habe nie gewollt, dass du mich hasst, und Gott weiß, dass ich wirklich versucht habe, nett zu dir zu sein. Aber im Moment ist mir das egal. Nicht gleichgültig ist mir dagegen, dass du in Maylenes eigenem Haus respektlos über sie redest. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du benimmst dich, oder du gehst.«
Cissy schüttelte Liz’ Griff ab und trat vor. »Wenn du das Erbe meiner Mutter ausschlägst, behellige ich dich nie wieder«, erklärte sie, leiser jetzt. »Hau einfach ab, Rebekkah!«
Rebekkah runzelte die Stirn. Maylenes Erbe ausschlagen?
»Cissy?« Der Sheriff trat zu ihnen. »Wie wäre es, wenn wir ein wenig frische Luft schnappen?«
Rebekkah wollte sich nicht davon überzeugen, ob Cissy ihm folgte. Sie wandte sich um und betrat die Küche ihrer Großmutter. Sie war voller Menschen, die ihr zum Teil vertraut, zum Teil unbekannt waren. So häufig war sie hier doch nicht zu Besuch gewesen, und es war Jahre her, dass sie hier gewohnt hatte. Aber jedes Mal, wenn sie nach Hause gekommen war, hatte sie Maylene überallhin begleiten müssen. Folglich kannte sie etliche Bewohner von Claysville, obwohl sie nur
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