Graveminder
für einige Jahre ständig hier gelebt hatte.
»Meine Damen.« Byron war ihr in die Küche gefolgt. »Lassen Sie uns kurz allein?«
»Also, das lief ja ziemlich gut.« Bevor Rebekkah sich umwandte und ihn ansah, zwang sie sich zu einer Miene, die ausdrückte, dass sie nicht zusammenzubrechen drohte. Er durchschaute sie mit Sicherheit, aber sie wollte sich die Illusion bewahren, in seiner Gegenwart nicht wie gewöhnlich schon wieder ihre Barrieren hinunterzulassen.
Er schnaubte verächtlich. »Sie hat den Streit geradezu herausgefordert.«
»Ich würde dich nach dem Grund fragen, aber vermutlich weißt du nicht mehr als ich.« Rebekkah betrachtete den Küchenboden. »Der Teppich ist verschwunden. Meine Großmutter ist an dieser Stelle gestorben, und man musste den Teppich wegnehmen, stimmt’s?«
»Tu dir das nicht an! Nicht jetzt.« Byron schloss sie in die Arme.
»Das war ein Ja.« Rebekkah schmiegte sich an ihn. »Ich verstehe einfach nicht, warum Cissy mich verletzen will. Ich möchte nicht wissen, wie Maylene …« Kurz schloss sie die Augen. »Ich will nicht, dass sie tot ist.«
»Daran kann ich nichts ändern.« Er streichelte ihre Schultern. »Soll ich Cissy mal ordentlich treten?«, fragte er, als sie sich leicht entspannte.
Rebekkah lachte leise, konnte jedoch ein Schluchzen nicht ganz überspielen.
Sie standen noch so da, als ein paar Minuten später Evelyn hereinkam. Sie war nur ein paar Jahre älter als die beiden, aber sie hatte schon immer eine mütterliche Ader gehabt. Als Byron bei einem Rennen draußen beim Wasserreservoir sein erstes Motorrad zu Schrott gefahren hatte, war ihm Evelyn nicht von der Seite gewichen, bis Chris ihm die Zusage abgerungen hatte, zum Arzt zu gehen. Ella und Rebekkah hatten ihr versprechen müssen, ihn jede knappe Stunde telefonisch zu wecken, um sicherzugehen, dass er keine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Als Frau des Sheriffs und Mutter von vier Kindern neigte sie mittlerweile noch stärker dazu, sich um alle zu kümmern.
»Cissy und ihre Töchter hielten es wohl für das Beste, nach Hause zu fahren und sich ein wenig auszuruhen«, erklärte Evelyn.
Mit tränenerfülltem Lächeln wandte Rebekkah sich zu ihr um. »Danke.«
Evelyn wedelte wegwerfend mit der Hand. »Ich habe ja nichts gemacht, Liebes. Christopher versteht sich gut darauf, mit schwierigen Frauen umzugehen.« Sie senkte die Stimme. »Das hat er bei seinen Schwestern gelernt. Er entstammt einer langen Ahnenreihe reizbarer Frauen.«
»Ja, wenn das so ist, dann sag auch ihm danke.« Rebekkah lachte verhalten. Als sie hier gewohnt hatte, war die Familie McInney für ungewöhnlich viele Ruhestörungen verantwortlich gewesen, und laut Maylene beruhte der Entschluss des Stadtrats, Chris zum Sheriff zu ernennen, zum Teil auf dem Umstand, dass er alle Unruhestifter kannte – oder mit ihnen verwandt war.
»Alles wird gut, Rebekkah.« Evelyn zog sich einen Stuhl heran. »Und es wird einfacher, wenn du etwas gegessen hast. Kummer zehrt, und mit leerem Magen verlierst du deine Kraft.« Sie klopfte auf den Stuhl. »Setz dich!«
Gehorsam tat Rebekkah wie ihr geheißen.
Evelyn sah Byron an. »Sieh mal nach, ob dein Vater schon hier ist! Er zeigt es nicht, aber für ihn ist es auch schwer. Die beiden haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel.« Mit einer Handbewegung scheuchte sie Byron davon. »Lauf schon! Ich bleibe ein Weilchen bei ihr.«
Byron warf Rebekkah einen Blick zu. Sie nickte. Sich bei Evelyn anzulehnen, fühlte sich nicht so gefährlich an wie bei Byron. Bei Evelyn spielten weder Verwirrung noch Konflikte eine Rolle. Sie war einfach nur nett. Höchstwahrscheinlich hätte sie das Gleiche für jeden anderen trauernden Menschen getan, der sich gegenwärtig im Haus aufhielt.
»Ich bin schon fort.«
Evelyn bereitete einen Teller für Rebekkah vor und erfüllte die Küche mit leichtem Geplauder, genau wie Maylene es immer getan hatte, wenn Rebekkah aufgeregt gewesen war. Deswegen tut sie es ja, wurde Rebekkah klar. Sie lächelte Evelyn an. »Danke.«
Im Verlauf der nächsten Stunde betraten Gäste die Küche und verließen sie wieder. Sie erzählten kleine Begebenheiten über Maylene – von denen sich viele in genau diesem Raum abgespielt hatten – und halfen Rebekkah ein wenig beim Verdrängen des Gedankens, dass ihre Großmutter hier gestorben war.
Dann spürte Rebekkah einen Ruck, als würde sie von einer unsichtbaren Schnur davongezogen. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück und
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