Graveminder
krümmte auffordernd die Finger. »Tu das Richtige! Komm einfach mit mir! Wir suchen ein paar Leute auf, die uns helfen können.«
» Zu ihr. Der neuen Totenwächterin.«
»Nein, nicht zu ihr. Das bringen wir beide ganz allein in Ordnung.« Mit ausgestreckter Hand trat er auf sie zu. »Maylene hat dir zu essen und zu trinken gegeben, nicht wahr?«
»Ja, aber nicht genug«, gab Daisha misstrauisch zurück. »Ich habe solchen Hunger.«
»Soll ich dir etwas zurechtmachen?« Williams Atem ging schwer. »Ginge es dir dann besser?«
Ohne es sich bewusst vorgenommen zu haben, nahm Daisha seine Hand und zog ihn zu sich heran. Er war ihr ganz nahe, obwohl sie sich doch gar nicht hatte bewegen wollen. Doch sie hatte es getan. Sie schüttelte den Kopf. Er zitterte. Wie Maylene. Daisha grub die Zähne in sein Handgelenk, und er stieß einen Laut wie ein verletztes Tier aus.
Er zog einen Gegenstand aus der Tasche und versuchte ihn ihr in den Arm zu stechen. Eine Spritze. Er hatte ihr Hoffnung in Aussicht gestellt, aber er versuchte ihr wehzutun. Gift. Sie stieß ihn weg. »Das ist gemein.«
William drückte das blutende Handgelenk an die Brust. Rote Tröpfchen fielen zu Boden, und weitere benetzten sein Hemd.
»Warte, ich helfe dir!«, sagte er. Er griff nach der Spritze, die ihm aus der Hand gefallen war. »Bitte, Kind, lass dir helfen!«
Daisha konnte den Blick nicht von dem Handgelenk abwenden. Die Haut war aufgerissen. »Das habe ich getan«, flüsterte sie.
»Wir bringen alles wieder in Ordnung.« Er nahm die Spritze. Sein Gesicht war bleich, und er sank zu Boden, bis er sich halb kniend, halb sitzend vor ihr befand. Obwohl er ganz offensichtlich Schmerzen hatte, streckte er die Hand aus, um nach ihrem Handgelenk zu greifen. »Bitte. Ich kann … dir helfen.«
»Nein.« Sie wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Ihr Kopf fühlte sich klarer an. Alles ergab viel mehr Sinn, wenn sie nicht so hungrig war. »Ich glaube nicht, dass ich von Ihnen Hilfe annehme.«
Er barg den blutüberströmten Arm am Körper und versuchte aufzustehen. »Es ist nicht richtig. Du bist nicht richtig. Du dürftest nicht hier sein.«
»Aber ich bin hier.« Daisha stieß ihn zu Boden. Sie war noch hungrig, aber ihre Angst vor ihm war größer als ihr Hunger. Er versteht es nicht, dachte sie. Angst bedeutete, dass sie sich auflöste. Das wollte sie nicht. Das durfte sie nicht zulassen. Daisha hatte es sich nicht ausgesucht, tot zu sein – oder nach ihrem Tod wieder aufzuwachen –, aber sie konnte Entscheidungen treffen.
Leise verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich.
William folgte ihr nicht.
Sie überlegte, ob sie die Frau besuchen sollte, die im Büro vor sich hin summte, aber es erschien ihr unklug, länger hierzubleiben. William mochte nicht stark genug sein, um sie aufzuhalten, doch er verfügte über Dinge und Menschen, die ihr wehtun konnten.
Daisha huschte aus der Tür.
Jemand würde ihr zu essen geben, jemand, vor dem sie keine Angst hatte. Sie würde diese Person finden, und dann würde sie entscheiden, was sie als Nächstes tun wollte.
17. Kapitel
Rebekkah war dankbar für Byrons Schweigen, während sie die kurze Strecke zu Maylenes Haus zurücklegten. Etwas in ihr wehrte sich dagegen, einfach immer wieder dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Zu Beginn war Byron ihr Geheimnis gewesen, das sie schuldbewusst gehütet hatte. Und Ella hatte es gewusst. Rebekkah hatte nicht gewollt, dass etwas passierte, denn sie hatte ihre Stiefschwester geliebt. Ein Abend. Ein Kuss. Nichts weiter. Sie hätte es nicht tun sollen, das hatte sie damals schon gewusst, aber es war nun einmal geschehen. Es sollte nicht wieder vorkommen. Sie hätten nicht … Es hatte Jahre gedauert, bis sie überhaupt wieder ohne schlechtes Gewissen mit Byron reden konnte. Und dann hatte sie eines Nachts nach zu vielen Drinks und Jahren des Begehrens die Grenze überschritten, die sie um keinen Preis hatte überschreiten wollen. Danach war er zu der einzigen Sucht geworden, die sie nicht abschütteln konnte, aber jedes Mal, wenn sie ihn an sich heranließ, dachte sie an ihre Schwester. Ella wusste, wie ich empfand und was er fühlte, und sie ist mit diesem Wissen gestorben, dachte Rebekkah.
Der Wagen hielt an. Byron öffnete die Tür und stieg aus.
»Bist du bereit?«, fragte er.
»Nein, eigentlich nicht.« Rebekkah holte tief Luft und folgte ihm zur Veranda und ins Haus ihrer Großmutter. Mein Haus, dachte sie. Sie wollte
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