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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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versuchte eine Erklärung für das vollkommen fremdartige Gefühl in ihrem Innern zu finden. Getrauert hatte sie schon öfter, aber Trauer hatte sie bisher nicht dazu angetrieben, unsichtbaren Spuren zu folgen.
    »Bek?« Amity kam auf sie zu. »Rebekkah? Was hast du vor?«
    Rebekkah reagierte nicht und ging weiter. Sie öffnete die Tür und trat auf die Veranda. Sie spürte, dass sie etwas sagen, dass sie irgendwie erklären sollte, was sie tat, aber der Druck in ihrem Innern hielt sie in Bewegung.
    Amity folgte ihr. »Was … O ihr Götter!« Sie fuhr herum und rannte zurück ins Haus. »Sheriff? Daniel? Jemand muss sofort herkommen!«
    Ein Kind, das Rebekkah nicht kannte, lag am Boden. Das Mädchen hatte mehrere lange klaffende Wunden am Arm, mindestens einen Riss in der Schulter und Kratzer an den Beinen, als sei es über die Erde geschleift worden. Die Kleine hatte die Augen geschlossen und das Gesicht abgewandt.
    Wie benommen kniete Rebekkah neben dem Mädchen nieder und fühlte nach dem Puls. Er war schwach, aber vorhanden. Es kostete sie ihre ganze Kraft, sich auf das Kind zu konzentrieren.
    Danach hatte ich nicht gesucht, schoss es ihr durch den Kopf.
    »O mein Gott!« Eine Frau, wahrscheinlich die Mutter, schluchzte auf, schob sich vor Rebekkah und hob das Kind auf die Arme. »Rufen Sie einen Krankenwagen! O mein Gott, Hope …«
    Dann erschienen Pater Ness und Lady Penelope, die ortsansässige Spiritistin. Jemand eilte mit einem Geschirrtuch herbei und wickelte es als behelfsmäßigen Verband um den Arm der Kleinen. Alles war so weit unter Kontrolle, aber der Drang, den Rebekkah spürte, hatte nicht nachgelassen.
    Es ist jetzt weiter weg, dachte sie.
    Rebekkah schritt an dem Kind und an den Menschen vorüber, die sich im Garten drängten. Vor ihr lag ein Wäldchen. Der Waldsaum bestand aus Bäumen und kahlem Boden. Maylene hatte den vorderen Teil stets von Unterholz freigehalten. Dahinter wucherte es ungehindert. Dort musste es sein. Rebekkah ließ den Blick über die Bäume und das Unterholz schweifen und suchte nach einer Bewegung, nach einer Spur, die ihr bei der Entdeckung des Tiers half, das für die Tat verantwortlich war.
    Warum sollte sie ein Tier spüren, das da draußen herumstrich?
    Byron trat neben sie. »Die Sanitäter sind unterwegs. Evelyn hat sie sofort angerufen, sobald Amity ihr Bescheid gesagt hatte. Die Station ist so nahe, dass sie sicher in ein paar Minuten hier sind.« Er hielt inne. »Bek? Geht es dir gut?«
    Sie beobachtete weiter die Schatten, die vor ihr lagen.
    »Siehst du etwas?«
    »Nein«, sagte sie.
    » Hast du denn etwas gesehen?« Byron spähte ins Innere des Wäldchens. »Einen Puma? Einen Hund?«
    »Nein, ich habe nichts gesehen.« Sie hatte das Gefühl, als gehöre ihre Stimme nicht ihr selbst, als erzeugten ihre Worte einen Widerhall ringsum.
    Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander. Dann ließ mit einem Mal der Sog nach, der Rebekkah nach draußen gezogen hatte. Sie rieb sich mit den Händen über die Arme, um das Prickeln auf der Haut loszuwerden.
    »Hier waren doch noch andere Kinder. Sind sie alle da? Ich kenne nicht viele von diesen Leuten. Ich dachte, ihre Eltern hätten nach ihnen gesehen, aber … Ach, keine Ahnung.« Sie sprach leise, um das lauernde Geschöpf in dem Wäldchen nicht zu vertreiben, aber auch um niemanden zu erschrecken, der vielleicht zufällig mithörte. »Kannst du das überprüfen?«
    »Klar. Ich frage Chris danach. Geht es dir …«
    »Ich muss einen Augenblick allein sein«, erklärte sie.
    Offensichtlich traf sie der Schock der letzten beiden Tage mittlerweile mit aller Deutlichkeit. Am Tag zuvor war sie noch in Kalifornien gewesen. Einen Tag später nahm sie an der Trauerfeier für ihre Großmutter teil. Und nun starrte sie in ein Wäldchen und versuchte ein Tier zu entdecken, das ein Kind angefallen hatte. Trauer äußerte sich nicht immer gleich – es war zu erwarten gewesen, dass sie sich anders als sonst verhielt. Ihr seltsamer Drang hatte sich jedoch nicht wie Trauer angefühlt. Allerdings war sie sich nicht schlüssig, was das Gefühl sonst gewesen sein mochte – ob sie es überhaupt wissen wollte. Am liebsten hätte sie alle Gäste hinausgeworfen, wäre nach oben gegangen und hätte ein Gewehr geholt. Dann hätte sie sich auf die Veranda gesetzt und auf die Großkatze oder den streunenden Hund gewartet, die das Kind gebissen hatten.
    Die Sanitäter fuhren vor. Gleich nach ihnen trafen William Montgomery und der

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